Arzthaftungsrecht
Arzthaftung - Patientenrechte
Grundlegende Urteile zum Arzthaftungsrecht
Der Gesetzgeber hat für das Patientenrechtegesetz ganz überwiegend die Rechtsprechung des BGH der letzten Jahrzehnte zusammengetragen und dieses in Gesetzesform gegossen. Das Gesetz ist also höchstrichterliche Rechtsprechung in Gesetzesform; mehr leider nicht, glücklicherweise aber auch nicht weniger.
Der BGH entwickelt seine Rechtsprechung ständig fort, verfeinert sie. Deshalb muss man als Arzthaftungsrechtler immer einen Blick auf die aktuelle obergerichtliche (Oberlandesgerichte) und vor allem die höchstrichterliche Rechtsprechung (Bundesgerichtshof in Karlsruhe) haben. Ansonsten ist es natürlich so, dass man zwar einen Paragraphen durchlesen kann, dieser aber erst bildhaft zum Leben erweckt wird, wenn er mit dem Sachverhalt einer Gerichtsentscheidung ausgefüllt wird.
Wir haben ausnehmend wichtige Urteile des Bundesgerichtshofs zusammengestellt und erläutert. Die betreffenden Entscheidungen kann man als PDF herunterladen.
Bei diesen grundlegenden Urteilen geht es beispielsweise
- um die rechtliche Relevanz von Aufklärungsbögen, die Anforderungen an eine Aufklärung (und Haftung) bei Außenseitermethoden,
- um die hypothetische Einwilligung (vermutete Einwilligung bei Nichtaufklärung),
- um das Thema Verjährung / Verjährungsfristen in bezug auf die Haftung des Arztes,
- um Grundsätze bei der Bemessung / der Höhe des Schmerzensgeldes und auch
- um die Besonderheiten bei der Bemessung der Schmerzensgeldbeträge bei Hirnschädigungen (etwa bei Geburtsschäden).
Das sollten Sie auch noch wissen!
Ein unterzeichnetes Einwilligungsformular ist – sowohl in positiver als auch in negativer Hinsicht – ein Indiz für den Inhalt des Aufklärungsgesprächs: Bundesgerichtshof (BGH), Urteil vom 28.01.2014, Az.: VI ZR 143/13. Der Patient musste sich einer Herzoperation unterziehen, bei der eine Herzklappe durch eine Prothese ersetzt worden ist. Der Patient ist vorher aufgeklärt worden. Auf dem Aufklärungsbogen war vermerkt, dass die Herzklappenoperation unter Aufrechterhaltung des Blutkreislaufs mit Hilfe einer Herz-Lungen-Maschine vorgenommen wird; dabei könne es zu lebensbedrohlichen Zwischenfällen und Lähmungen, sowie Sprach- und Bewegungstörungen kommen. Die Operation wurde dann aufgrund der anatomischen Besonderheiten teilweise bei abgeschalteter Lungenmaschine und heruntergekühltem Körper durchgeführt. Der Patient erlitt schwere Schäden neurologischer Art, auch Sprachstörungen. Der Patient machte vor Gericht mangelhafte Aufklärung über die Operationserweiterung geltend. Im Prozess konnte sich der aufklärende Arzt nicht mehr an die Einzelheiten des Aufklärungsgesprächs erinnern, gab aber an, dass er in gleichgelagerten Fällen stets darauf hinweise, dass das Herunterkühlen des Körpers zu allerlei Komplikationen führen könne, wobei auch neurologische Ausfälle möglich seien. Die Aufklärung stellt die Entscheidungsfreiheit (Selbstbestimmungsrecht!) des Patienten sicher. Der Arzt ist für die ordnungsgemäße Aufklärung beweisbelastet (§ 630h BGB). Der Arzt muss gemäß folgender Grundsätze aufklären (§ 630e BGB):
- nicht lediglich durch Merkblätter, die er sich unterschreiben lässt, sondern in einem vertrauensvollen Gespräch, das
- rechtzeitig (nicht erst eine Stunde vor der Operation, sondern ein bis drei Tage vorher),
- verständlich (gegebenenfalls mit Dolmetscher),
- umfassend (im „Großen und Ganzen“),
- über die Krankheit (Diagnose),
- über die Behandlung (Therapie),
- deren typische Risiken und Chancen;
- über gleichwertige alternative Therapien und deren typische Risiken und Chancen,
- desto schwerer der Eingriff und die zu erwartenden Risiken sind, desto umfassender muss aufgeklärt werden,
- je weiter sich der Arzt von der Schulmedizin/ Facharztstandard entfernt, desto umfänglicher muss er aufklären.
- Bei Schönheitsoperationen muss schonungslos aufgeklärt werden.
Grundlegende Aspekte bei Anwendung von Außenseitermethoden durch den behandelnden Arzt: Bei Neulandmethoden ist der Sorgfaltsmaßstab erhöht und auch die Aufklärung muss überobligatorisch sorgfältig erfolgen.
Der Bundesgerichtshof hat sich in dem Fall der Robodoc-Hüftoperationen sehr ausführlich mit den Aufklärungspflichten bei neuen Behandlungsmethoden auseinandergesetzt. Die Roboter hatten entgegen allen Erwartungen nicht so gut operiert (gefräst) wie Menschen und es gab viele Schäden, bevor die Methode für Hüftoperationen aufgegeben wurde. In dem vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall erlitt die Patientin einen schweren Nervenschaden.
Was gilt also, wenn ein Arzt dem Patienten eine Methode vorstellt, über die es nur wenig Erfahrung über Erfolge und Mißerfolge oder Spätschäden gibt: Der Arzt ist neben seiner Therapiefreiheit (= die Entscheidungsfreiheit, eigentlich richtigerweise „Vorschlagsfreiheit“ im Rahmen seiner ärztlichen Tätigkeit über Diagnostik und die zu wählende Therapie) an die ausdrückliche oder hypothetische Einwilligung des zu behandelnden Patienten gebunden. Die Wahlfreiheit des Arztes in Bezug auf die richtige Behandlungsmethode wird jedoch von geltenden berufsrechtlichen Regeln geprägt. Diese verlangen von einem Arzt, der eine so genannte Außenseitermethode einsetzt, die noch nicht als anerkannte und bewährte Regel der ärztlichen Wissenschaft (Facharztstandard) gilt, das Vorliegen eines sachlichen Grundes. Zudem muss der Arzt den Patienten darüber informieren (ärztliche Aufklärungspflicht), dass er beabsichtigt, abweichend von der wissenschaftlich anerkannten und erfolgsversprechenden Vorgehensweise, eine noch unerforschte Außenseitermethode anzuwenden.
Die Grenze der sogenannten Therapiefreiheit im Zusammenhang mit Außenseitermethoden ist dann erreicht, wenn eine anerkannte Behandlungsmöglichkeit der Außenseitermethode offensichtlich überlegen ist. Wird trotzdem die Außenseitermethode durchgeführt, so ist eine solche nicht mehr von der Therapiefreiheit des Arztes gedeckt. Entscheidend ist jedoch immer der Einzelfall. Der Arzt, der die Wahl einer Außenseitermethode bevorzugt, muss auch die herkömmlichen Diagnose- und Behandlungsmöglichkeiten berücksichtigen. Bietet die Schulmedizin keine erfolgsversprechende Therapiemöglichkeit und beabsichtigt der Arzt die Durchführung eine Außenseitermethode, so wird diese grundsätzlich als zulässig angesehen.
Die Anwendung neuer Behandlungsmethoden unterscheidet sich von herkömmlichen, bereits zum medizinischen Standard gehörenden Therapien, vor allem dadurch, dass in besonderem Maße mit bisher unbekannten Risiken und Nebenwirkungen zu rechnen ist. Deshalb erfordert die verantwortungsvolle medizinische Abwägung einen – im Verhältnis zur standardgemäßen Behandlung – besonders sorgfältigen Vergleich zwischen den zu erwartenden Vorteilen und ihren abzusehenden oder zu vermutenden Nachteilen unter besonderer Berücksichtigung des Wohles des Patienten. Die Anwendung neuer Verfahren ist zwar für den medizinischen Fortschritt unerläßlich; aber am Patienten angewandt werden dürfen sie nur dann, wenn diesem vorher unmissverständlich verdeutlicht worden ist, dass die neue Methode die Möglichkeit unbekannter Risiken in sich birgt. Der Patient muss (in Ausübung seines Selbstbestimmungsrechts) in die Lage versetzt werden, für sich sorgfältig abzuwägen, ob er sich nach der herkömmlichen Methode mit bekannten Risiken oder nach der neuen Methode unter besonderer Berücksichtigung der in Aussicht gestellten Vorteile und der noch nicht in jeder Hinsicht bekannten Gefahren. ( Urteil des Bundesgerichtshofs vom 13. Juni 2006 – VI ZR 323/04).
Nicht nur die Aufklärungspflichten sind umfangreicher; auch der Sorgfaltsmaßstab der Behandlung selbst ist bei Außenseitermethoden erhöht: Nach der Auffassung des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 22.05.2007 – VI ZR 35/06) ist auch bei der Anwendung einer Außenseitermethode grundsätzlich der Sorgfaltsmaßstab eines vorsichtigen Arztes entscheidend. In diesem lesenswerten Fall ging es um eine Bandscheibenbehandlung, um eine neuartige Behandlungsmethode (Infiltration), die eine konventionelle Bandscheibenoperation ersparen sollte, dann aber zu schwersten Schäden (Querschnittlähmung; Blasen- und Mastdarmstörung) geführt hat. Der Bundesgerichtshof postulierte, dass die Patientin bei der Aufklärung über die neue Methode nicht nur über die Gefahr einer Verschlechterung ihres Zustands, sondern auch über die insgesamt unerforschte Wirkweise der Methode und ihre umstrittene Wirksamkeit hätte aufgeklärt werden müssen. Außerdem hätte sie während der Behandlung sorgfältiger überwacht werden müssen, um Schaden von ihr abzuwenden. Bei Anwendung einer Behandlungsmethode außerhalb der medizinischen Standards ist Maßstab für die Sorgfalt ein vorsichtiger Arzt: Er hat alle bekannten und vertretbaren Sicherungsmaßnahmen anzuwenden, die eine erfolgreiche und komplikationsfreie Behandlung gewährleisten. Je einschneidender sich ein Fehler für den Patienten auswirken kann, desto vorsichtiger muss er vorgehen.
Die Robodoc-Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 13.06.06 – VI ZR 323/04 können Sie hier als PDF herunterladen:
Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs zur Infiltrationstherapie bei einem Bandscheibenvorfall können Sie hier hier als PDF herunterladen:
Hinweise zu den Einzelheiten der Aufklärungsverpflichtungen eines Arztes finden Sie hier:
Zu der Problematik der Aufklärungspflicht über Risiken finden Sie hier weitere Informationen:
Das Problem der Rückenoperationen können Sie hier vertiefend nachlesen:
Die Zerstörung der Persönlichkeit aufgrund des weitgehensten Fortfalls der Emfindungsfähigkeit und der Wahrnehmungsfähigkeit bei hirnorganischen Schäden fordert einen hohen Ausgleich für die damit verbundenen immateriellen Einbußen (Schmerzensgeld).
Das hat der Bundesgerichtshofs (BGH, Urteil vom 13.10.1992 – VI ZR 201/91) mit seiner grundlegenden Entscheidung anläßlich eines Geburtschadensfalls klargestellt.
In dem vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall wählten die Ärzte bei einer Problemgeburt (Beckenendlage) behandlungsfehlerhaft den falschen Weg der Geburt. Anstatt eine vaginale (normale, natürliche) Geburt durchzuführen, hätten sie gemäß den Facharztstandards den alternativlosen Weg der Schnittentbindung (Kaiserschnitt) gehen müssen.
Das Kind ist mit schwersten Behinderungen geboren worden und für sein gesamtes weiteres Leben auf fremde Hilfe angwiesen. Seine Beeinträchtigungen wiegen so außerordentlich schwer, weil es in seinem Kern der menschlichen Existenz getroffen worden ist.
Das Berufungsgericht hat diesen schweren Schaden schmerzensgeldmindernd berücksichtigt. Es hat nur ein minimales (symbolisches) Schmerzensgeld zugesprochen, weil es angenommen hat, dass die Beeinträchtigung der Wahrnehmungs- und Empfindungsfähigkeit den Schmerzensgeldanspruch mindere, indem das Opfer des Ärztepfuschs seine Beeinträchtigungen nicht wesentlich spüre, weil auch seine Leidensfähigkeit eingeschränkt sei.
Diesem Gedankengang ist der Bundesgerichtshof mit dieser und später mit nachfolgenden Entscheidungen entgegengetreten und hat vielmehr in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass solche Schädigungen das Schmerzensgeld nicht mindern, sondern vielmehr erhöhen.
Die Begründung findet sich in folgendem Gedanken: Die traurigsten der Arzthaftungsfälle sind die Geburtsschäden. Bei der Geburt kann es zu Sauerstoffmangel kommen, der schwerste Schäden hervorrufen kann; so schwer, dass sie mit anderen Medizinschäden nicht mehr vergleichbar sind. Deshalb nimmt die höchstrichterliche Rechtsprechung eine eigenständige Bewertung dieser Schäden vor, bei denen das Gehirn betroffen ist. Fälle, bei denen der Verletzte durch den weitgehenden Verlust der Persönlichkeit getroffen worden ist, verlangen nach der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nach einer eigenständigen Bewertung dessen, was als Entschädigung bei einer schweren Hirnschädigung für diesen immateriellen Verlust als „billig“ (= gerecht) anzusehen ist. Es müsste angesichts des hohen Wertes, den das Grundgesetz in Art. 1 und 2 der Persönlichkeit und der Würde des Menschen beimisst, jedenfalls in Fällen wie dem vorliegenden als nicht auflösbarer Widerspruch in sich erscheinen, die vom Schädiger zu verantwortende weitgehende Zerstörung der Grundlagen für die Wahrnehmungs- und Empfindungsfähigkeit als Umstand anzusehen, der den Schmerzensgeldanspruch mindern kann. Bei hirnorganischen Schädigungen besteht der zu ersetzende immaterielle Schaden nicht nur in körperlichen oder seelischen Schmerzen, also in Missempfindungen oder Unlustgefühlen als Reaktion auf die Verletzung des Körpers oder die Beschädigung der Gesundheit. Vielmehr stellt die Einbuße der Persönlichkeit, der Verlust an personaler Qualität infolge schwerer Hirnschädigung schon für sich einen auszugleichenden immateriellen Schaden dar, unabhängig davon, ob der Betroffene die Beeinträchtigung empfindet. Der Bundesgerichtshof sieht in diesen hirnorganischen Schäden eine eigenständige Fallgruppe, bei der die Zerstörung der Persönlichkeit durch den Fortfall der Wahrnehmungsfähigkeit und der Empfindungsfähigkeit geradezu im Mittelpunkt steht und deshalb auch bei der Bemessung der der „billigen“ (= gerechten) Entschädigung einer eigenständigen Bewertung zugeführt werden muss, die der zentralen Bedeutung dieser Einbusse für die Person gerecht wird.
Die Instanzengerichte sind dieser Rechtsprechung gefolgt, etwa: Landgericht Rottweil (2 O 4/06 Urteil v. 30.05.2007 v. 30.05.2007) 100.000,00 Euro; Landgericht München I hatte mit Urteil vom 28.05.2003 (9 O 14993/99) 200.000,00 Euro; OLG Naumburg (1 W 57/10 Beschluss v. 10.12.2010) 400.000,00 Euro, das OLG Hamm (3 U 156/00 Urteil v. 16.01.2002) mit 500.000,00 Euro, die im Rahmen der Anpassung der Geldentwertung mit 600.000,00 Euro bewertet werden müssen; ähnlich bemessen ist auch die Schmerzensgeldhöhe der Entscheidung des Landgericht München I vom 29.03.2001 – 19 O 8647/00, NJW-RR 2001, S. 1246. Das Kammergerichts (KG) hat mit Urteil vom 16.02.12 – 20 U 157/10 einen Schmerzensgeldbetrag in Höhe von 675.000,- (Indexangepaßt an die Geldentwertung zum Jahr 2018) als kompensionsadäquat angesehen.
Das grundlegende Urteil des Bundesgerichtshofs vom 13.10.1992 – VI ZR 201/91 können Sie sich hier als PDF herunterladen:
BGH, Urteil vom 13.10.1992 – VI ZR 201/91
Zum Geburtsschadensrecht finden Sie hier weitere Informationen:
Das Selbstbestimmungsrecht des Patienten umfasst das Recht, umfassend aufgeklärt (oder nicht aufgeklärt) zu werden und jeder medikamentösen, operativen oder sonstigen Behandlungsmaßnahme zuzustimmen oder sie abzulehnen.
Diesen Grundsatz hat das Reichsgericht im Jahre 1894 in seiner grundlegenden und auch heute noch lesenswerten Sentenz ausnehmend treffend fixiert:
„Dass jemand nach eigener Überzeugung oder nach dem Urteile seiner Berufsgenossen die Fähigkeit besitzt, das wahre Interesse seines Nächsten besser zu verstehen, als dieser selbst, dessen körperliches und geistiges Wohl durch geschickt und intelligent angewendete Mittel vernünftiger fördern zu können, als dieser es vermag, gewährt jenem entfernt nicht irgend eine rechtliche Befugnis, nunmehr nach eigenem Ermessen in die Rechtssphäre des Anderen einzugreifen, diesem Gewalt anzutun und dessen Körper willkürlich zum Gegenstande gutgemeinter Heilversuche zu benutzen“.
In dem vom Reichsgericht entschiedenen Fall ging es um ein kleines Mädchen (7), das an Knochentuberkulose litt. Der Vater war Anhänger der Naturmedizin und stand einer Operation ablehnend gegenüber. Der Arzt amputierte heimlich den Fuß, um das Mädchen zu retten, was auch gelang. Der Arzt wurde verurteilt, weil der körperverletzende Eingriff nicht von einer Einwilligung gedeckt war.
Die Selbstbestimmung (das Reichsgericht sagt noch der „Wille“) des Patienten legitimiert den Arzt, am Patienten den Heileingriff vorzunehmen, ohne dass ihm eine Körperverletzung vorgeworfen werden kann. Das Reichsgericht knüpfte den Willen des Patienten noch eng an den Eingriff selbst, so dass lediglich verhindert werden sollte, dass eigenmächtig Eingriffe durchgeführt werden, der reine „Wille“ ist demnach unzulänglicher, als heutzutage die Selbstbestimmung des Patienten an Selbstbestimmungsrechten vorsieht.
In heutiger Zeit ist das Selbstbestimmungsrecht im Grundgesetz durch die Grundrechte garantiert (insbesondere: Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 und 2 GG), darüber hinaus ist es Gedanke der universell geltenden Menschenrechte.
Die Judikatur hat sich weiter entwickelt. Voraussetzung für eine ordnungsgemäße Einwilligung des Patienten ist heutzutage, dass sich der Wille des Patienten frei bilden kann, dass er weiss, worauf genau er sich einlässt. Dafür benötigt er Informationen, die ihm der Arzt in einem persönlichen und vertrauensvollen Gespräch geben muss. In diesem Aufklärungsgespräch muss er im Großen und Ganzen über den Ablauf des Eingriffs, die Folgen, die Risiken und auch über gleichwertige Behandlungsalternativen aufklären, so dass es der Patient verstehen kann. Der Patient muss auch wissen, was vermutlich passiert, wenn er die Behandlung nicht durchführen lässt, was auch sein Recht ist. Im Rahmen der Selbstbestimmung darf ein Patient letztendlich auch auf ein Aufklärungsgespräch gänzlich verzichten, wenn er ahnt, dass ihm die Wahrheit psychisch zusetzen würde oder er sich einfach mit den Gedanken um Risiken nicht befassen und seinen Optimismus nicht schmälern möchte. Dieses Recht endet auch dann nicht, wenn die Entscheidung des Patienten unvernünftig wird (nach welchem Maßstab mag das auch wer beurteilen). Schwierig wird es bei Minderjährigen. Wird hier eine lebensnotwendige Behandlung durch die Erziehungsberechtigten abgelehnt, dann greift der Staat ein. Insofern wäre der vom Reichsgericht entschiedene Fall heutzutage auch mit einer Operation des Mädchens ausgegangen, mit dem Unterschied, dass nicht der Arzt in seiner Selbstherrlichkeit selbst entschieden hätte, sondern eine unabhängige, staatliche Instanz (Gericht).
Das Recht auf Selbstbestimmung kann man durch Patientenverfügungen (§ 1901a BGB) zu Lebzeiten regeln (hier finden Sie ein Muster). Auf diese Weise kann man einer sinnlosen künstlichen Verlängerung des Lebens vorbeugen, wenn eine solche Verlängerung letztendlich den Tod lediglich quälend hinauszögert. Der Bundesgerichtshof sagt, dass dies aus der Würde des Menschen folge, die es gebiete, sein in einwilligungsfähigem Zustand ausgeübtes Selbstbestimmungsrecht auch dann noch zu respektieren, wenn er zu eigenverantwortlichem Entscheiden nicht mehr in der Lage ist.
Die Reichsgerichtsentscheidung finden Sie hier zum Download: III. Strafsenat des Reichsgerichts vom 31 Mai 1894
Hinweise zu den Einzelheiten der Aufklärungsverpflichtungen eines Arztes finden Sie hier:
Die Voraussetzungen an die den Lauf der regelmäßigen Verjährungsfrist auslösende grob fahrlässige Unkenntnis des Patienten von einem ärztlichen Behandlungsfehler
Die Verjährungsfristen in Arzthaftungssachen sind eine komplizierte Angelegenheit. Man muss sie immer im Auge behalten.
Bei Gesundheitsschäden gilt eine 30-jährige Verjährungsfrist (Höchstfrist). Diese Höchstfrist gilt allerdings nur so lange, bis nicht die regelmäßige Verjährungsfrist in Gang gesetzt wird. Die regelmäßige Verjährungsfrist beträgt drei Jahre. In Arzthaftpflichtfragen wird sie durch die Kenntnis des Patienten vom Behandlungsfehler im Großen und Ganzen ausgelöst. Der Patient muss nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) so viel wissen, dass bei zutreffender medizinischer rechtlicher Würdigung, ohne weitere Ermittlung bisher verborgener Fakten, eine Einschätzung der Prozessaussichten (zumindest einer Feststellungsklage, also einer reinen Klage zum Grund der Ansprüche und nicht zur Höhe) möglich ist.
Positive Kenntnis hat ein Patient etwa dann, wenn ihm ein medizinisches Gutachten, beispielsweise des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen (MDK) vorliegt.
Neben der positiven Kenntnis kommt allerdings auch die grob fahrlässige Unkenntnis in Betracht.
In dem vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall ging es darum, dass die Klägerin (nicht das Kind) infolge des Einsatzes einer Geburtszange geschädigt worden war. Es kam zu einem Dammriss, sowie zu einem Riss des unteren bis mittleren Vaginaldrittels. Über Jahre litt die Klägerin seit der Entbindung unter Schmerzen aufgrund der Vernarbungen. Die Schmerzen waren so stark, dass sie ihr tägliches Leben in hohem Maße beeinträchtigt haben und sie ständig damit konfrontiert worden ist.
Die Geburt fand im Jahr 1998 statt. Die Klage hat sie im Juli 2007) erhoben. Das Landgericht Bremen hat angenommen, dass die Klägerin seit der Entbindung Kenntnis des Behandlungsfehlers gehabt habe, sodass die Verjährung sich wie folgt berechnet: das Jahr der Kenntnis (oder grob fahrlässigen Unkenntnis) zählt nicht mit, sodass ab 1999 gerechnet wird. Damit wären die Ansprüche Silvester 2001 verjährt gewesen. Das Oberlandesgericht Bremen hat als Berufungsgericht angenommen dass die Klägerin deutlich vor dem 31. Dezember 2001 grob fahrlässig gehandelt habe. Es habe auf der Hand gelegen, in den Jahren nach der Entbindung einem der Ärzte wenigstens einmal die Frage zu stellen, ob möglicherweise bei der Behandlung im Krankenhaus irgendein Fehler unterlaufen sein könnte. Das OLG hat dann nach seiner Auffassung folgerichtig die Jahre abgezählt und festgestellt, dass die Ansprüche der Klägerin mit Ablauf des 31. Dezember 2004 verjährt gewesen sind. Auch in diesem Fall konnte die Klage, die ja erst im Jahre 2007 eingereicht worden ist, kein Erfolg haben. Erst im Revisionsverfahren hat der Bundesgerichtshof die Sache zurechtgerückt.
Arzthaftung ist kompliziert. Vor Gericht wird in diesem Rechtsgebiet immer ein medizinisches Sachverständigengutachten eingeholt. Ein Nichtmediziner kann medizinische Fachfragen nicht beurteilen. Deshalb hat der Bundesgerichtshof in diesem Fall auf die entscheidenden Punkte hingewiesen: die Verjährung kann nicht beginnen, bevor der Patient als medizinischer Laie Kenntnis von der Abweichung von den Facharztstandards erhalten hat. Der Patient muss aus seiner Laiensicht den Stellenwert des ärztlichen Vorgehens für den Behandlungserfolg einschätzen und sich bewusst werden, dass seine Gesundheitsbeeinträchtigungen auf dem Behandlungsfehler beruhen. Oder er muss vor dieser Erkenntnis die Augen verschließen, dies aber nicht nur fahrlässig, sondern grob fahrlässig.
Der Bundesgerichtshof (Urteil vom 10.11.2009, Az. VI ZR 247/08) stellt an eine grobe Fahrlässigkeit hohe Anforderungen: eine grob fahrlässige Unkenntnis kommt lediglich dann in Betracht, wenn der Geschädigte vor einer sich ihm ohne weiteres anbietenden, gleichsam auf der Hand liegenden Erkenntnismöglichkeit, die weder besondere Kosten noch Mühe verursacht, die Augen verschlossen hat.
Nach gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung besteht für den Geschädigten keine generelle Obliegenheit, im Interesse des Schädigers an einem möglichst frühzeitigen Beginn der Verjährungsfrist die Initiative zur Klärung von Schadenshergang oder Personen des Schädigers zu entfalten. Der Patient ist nicht gehalten, vornehmlich gegen sich selbst zu arbeiten.
In Arzthaftungssachen ist bei der Prüfung, ob grobe Fahrlässigkeit vorliegt, zugunsten des Patienten zu berücksichtigen, dass dieser nicht ohne weiteres aus einer Verletzungshandlung, die zu einem Schaden geführt hat, auf einen schuldhaften Behandlung- oder Aufklärungsfehler zu schließen braucht. Deshalb führt allein der negative Ausgang einer Behandlung ohne weitere, sich aufdrängende Anhaltspunkte für ein behandlungsfehlerhaftes Geschehen nicht dazu, dass der Patient zur Vermeidung der Verjährung seiner Ansprüche Initiative zur Aufklärung des Behandlungsgeschehens entfalten müsste.
Zudem können Gesundheitsbeeinträchtigungen, wie etwa auch ungünstige Narbenbildungen, nicht ausschließlich auf dem Fehlverhalten eines Arztes beruhen, es ist durchaus möglich, dass sie schicksalhaft sind; dies gilt auch für die Verletzung des Dammrisses, dieser gehört nicht zu den vermeidbaren oder unüblichen Verletzungen bei einer Entbindung.
Hier liegt es fern, der Geschädigten das Unterlassen von Nachfragen als vollkommen fernliegend anzulasten. Dazu hätte sich der Verdacht auf eine Schädigung durch einen möglichen Behandlungsfehler geradezu aufdrängen müssen.
Der BGH führte aus, dass nach den Umständen des Falls bis zu dem Gespräch mit der Gynäkologin im Jahr 2006 sich die Kenntnis an einen Behandlungsfehler nicht habe aufdrängen müssen, auch nicht aufgrund der erheblichen Schmerzen mit Beeinträchtigung der Lebensführung. Die Klägerin hat erstmals in dem Gespräch mit ihrer Gynäkologen am 23. Juni 2006 einen Hinweis darauf erhalten dass eine falsch gesetzten Naht die Ursache ihrer Beschwerden sein könnte. Damit war zur Zeit der Klageerhebung im Jahre 2007 keine Verjährung eingetreten.
Nach den Vorgaben des Bundesgerichtshofs errechnet sich die korrekte Verjährungsfrist wie folgt. Vom Juni 2006 wird bis zum Jahresende gedacht, da die Verjährung am Schluss des Jahres beginnt, indem der Patient Kenntnis des Behandlungsfehlers erhalten oder grob fahrlässig nicht erhalten hat. D. h. konkret: das erste Jahr zählt nicht mit. Gezählt wird dann: 2007, 2008, 2009. Die Ansprüche wären also nach den Vorgaben der höchstrichterlichen Rechtsprechung erst Silvester 2009 um 24.00 Uhr verjährt. Man kann also sagen, dass die Geschädigte eigentlich recht flott, nämlich ein Jahr nach Kenntnis des Behandlungsfehlers und sehr zeitig Klage vor Ablauf der Verjährung erhoben hat, nämlich zweieinhalb Jahre. Das hat man in den ersten beiden Instanzen bloß nicht erkannt.
Das vollständige Urteil des Bundesgerichtshofs vom 10.11.2009 – Az. VI ZR 247/08 können Sie hier als PDF (104 KB) herunterladen:
In diesem vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall ging es um einen Patienten, der im Jahre 2007 von einer infizierten Zecke gebissen worden war, daraufhin eine Borreliose entwickelt hatte und hierdurch seither schwer beeinträchtigt ist. Der behandelnde Orthopäde hatte den Zeckenbiss nicht erkannt, so dass eine Heilung nicht mehr möglich war. So etwas ist gar nicht selten, jedoch (noch) nicht das Problem des Falls. Die Frage der Haftung wird erst später geklärt werden.
Das Problem des Falls ist zunächst die Verjährung von Ansprüchen, wenn eine Schlichtungsstelle angerufen wird.
Schlichtungsstellen können eine Alternative zu einem Gerichtsverfahren darstellen. Oftmals sind diese Verfahren kostenlos. Der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten wird durch ein Schlichtungsverfahren nicht versperrt, solange man darauf achtet, dass der Anspruch nicht verjährt. Die Verjährung ist bei der Arzthaftung immer ein ganz wichtiger Punkt. Wird ein Schlichtungsverfahren einvernehmlich durchgeführt und rechtzeitig beantragt, dann ist die Verjährung gehemmt. Mängel in der Organisation der Schlichtungsstelle, bei der Bearbeitung und Zustellung werden dem Antragsteller nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht zugerechnet. Wenn der Patient oder sein Rechtsanwalt alle von ihnen geforderten Mitwirkungshandlungen erbracht haben, dann liegt die weitere Verantwortung für den ordnungsgemäßen Verfahrensgang ausschließlich in den Händen der Schlichtungsstelle. Diesen Geschäftsgang können die Parteien ja gerade nicht beeinflussen, deswegen sind Verzögerungen nicht zurechenbar (BGH, Urteil vom 22.09.2009 – XI ZR 230/08).
Die Hemmung der Verjährung endet gemäß § 204 Abs. 2 S. 1 BGB frühestens sechs Monate nach der Einstellung des Schlichtungsverfahrens. Innerhalb dieser Frist muss eine Klage erhoben werden.
Der Fall lag hier aber gerade anders: Der Patient rief kurz vor Ablauf der Verjährung die Schlichtungsstelle an.
Der Anspruch auf Schadensersatz und Schmerzensgeld wäre am 31.12.2011 verjährt. Der Patient stellte den Schlichtungsantrag am 15.12.2011, der am 22.12.2011 dort einging. An sich kein Problem sollte man denken, eigentlich ja sogar recht frühzeitig, wenn man bedenkt, wie viele Klagen Rechtsanwälte noch am Jahresende erheben, also am 30. und 31. Dezember. Wenn man eine Klage – und sei es am letzten Tag – bei Gericht einreicht und diese dann alsbald zugestellt wird, ist die Verjährung gehemmt. Eine Schlichtungsstelle ist jedoch kein Gericht. Sie beruht (und das ergibt ja bei einem Schlichtungsverfahren Sinn) auf Freiwilligkeit. Der Arzt hatte dem Schlichtungsverfahren erst im darauffolgenden Jahr, nämlich im Februar 2012 zugestimmt, also zu einem Zeitpunkt, als die Ansprüche schon verjährt waren.
Der Berufshaftpflichtversicherer des Arztes verweigerte sich dann aber dem Schlichtungsverfahren, weil er meinte, dass die Ansprüche verjährt seien. Das meinte auch das Oberlandesgericht Jena und musste sich vom Bundesgerichtshof belehren lassen, dass die Hemmung der Verjährung am 21.12.2011 eingetreten war:
Macht ein Patient gegen den ihn behandelnden Arzt Schadensersatzansprüche bei einer von den Ärztekammern eingerichteten Schlichtungsstelle geltend, so setzt der Eintritt der Verjährungshemmung nicht voraus, dass sich der Arzt oder der hinter diesem stehende Haftpflichtversicherer auf das Schlichtungsverfahren einlässt. Dies gilt auch dann, wenn ein Schlichtungsverfahren nach der Verfahrensordnung der jeweiligen Schlichtungsstelle nur dann durchgeführt wird, wenn Arzt und Haftpflichtversicherer der Durchführung des Verfahrens zustimmen.
Jetzt wird es noch ein Mal schwierig. Die Hemmung der Verjährung endet sechs Monate nach Beendigung oder Erledigung des Schlichtungsverfahrens. Die Schlichtungsstelle teilte dem Patienten am 13.04.2012 mit, dass das Verfahren (mangels Zustimmung des Berufshaftpflichtversicherers, s.o.) eingestellt worden ist. Da von Gesetzes wegen ein Tag mehr berücksichtigt wird, endete die Hemmung der Verjährung am 14. Oktober, dann rechnet man noch die zehn Tage Hemmung aus dem Jahr 2011 dazu, so dass die Hemmung der Verjährung mit Ablauf des 23. Oktober 2012 eingetreten wäre. An diesem Tag war aber dem Arzt schon die Klage zugestellt worden, die wiederum die Verjährung hemmte, so dass sie zu ihrem Ablauf schon aus anderem Grund glücklicherweise wieder gehemmt war.
Das vollständige Urteil des Bundesgerichtshofs vom 17.01.2017 – ZR VI 239/15 können Sie hier als PDF (116 KB) herunterladen:
BGH, Urteil v. 17.01.2017 – ZR VI 239/15
Auch ein anderes, hier besprochenes grundlegendes Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH, Urteil vom 10.11.2009, Az. VI ZR 247/08) beschäftigt mit Verjährungsfragen, vornehmlich mit der grob fahrlässigen Unkenntnis des Behandlungsfehlers, welche die Verjährungsfrist in Gang setzen kann.
Eine umfassende Darstellung der Tücken der Verjährungsberechnung im Arzthaftungsrecht mit Berechnungsbeispielen finden Sie hier:
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Zur Pflicht des Arztes den Patienten über das im Einzelfall erhöhte, mit dem Eingriff spezifisch verbundene und für die Lebensführung des Patienten bedeutsame Risiko aufzuklären – und die Voraussetzungen einer hypothetischen Einwilligung: BGH, Urteil vom 18.11.2008, Az: VI ZR 198/07.
Wird der Einwand der ärztlichen Seite bei einem festgestellten Aufklärungsmangel, dass der Patient auch bei ordnungsgemäßer Aufklärung in den Eingriff eingewilligt hätte (= hypothetische Einwilligung) erst in der zweiten Instanz erhoben, handelt es sich um ein neues Verteidigungsmittel, welches, auch wenn der Sachverhalt in der ersten Instanz streitig war, als verspätet zurückzuweisen ist.
Im Rahmen der Aufklärung hat der Arzt den Patienten auch und speziell über das im Einzelfall erhöhte, mit dem Eingriff spezifisch verbundene und für die Lebensführung des Patienten bedeutsame Risiko aufzuklären. Tut er dies nicht, liegt eine fehlerhafte Risikoaufklärung vor.
Die Klägerin musste sich im Jahr 1975 einer Gehirnoperation unterziehen. Im Jahr 1987 erlitt sie einen Schlaganfall, der eine rechtsseitige Lähmung zur Folge hatte. Im Jahr 2002 traten bei der Klägerin beidseitige Gehirnblutungen auf. Im Jahr 2003 verstarb eine Nichte der Klägerin infolge einer Aneurysmenruptur. Die Klägerin wurde im November 2003 wegen drei Wochen zurückliegender, einen Tag anhaltender Kopfschmerzen links im Hinterhaupt- und Scheitelbereich und einer in einem ambulanten CCT beschriebenen Blutung rechts im Gehirnbereich stationär in der neurologischen Abteilung des Krankenhauses, dessen Trägerin die Beklagte war, behandelt. Die Klägerin wurde von einem Radiologen über die Folgen und Risiken einer beabsichtigen digitalen Subtraktionsangiographie (im folgenden: DSA) des Kopfes aufgeklärt. Dabei wurde auch das Risiko eines Schlaganfalls als Komplikationsmöglichkeit des diagnostischen Eingriffs genannt. Die Klägerin wurde jedoch nicht darüber aufgeklärt, dass das Schlaganfallrisiko in ihrem Fall, da sie in der Vergangenheit bereits einen Schlaganfall erlitten hatte, auf das Doppelte, nämlich von 0,5 % auf 1 %, angestiegen war. Der diagnostische Eingriff erfolgte am Folgetag. Hierbei erlitt die Klägerin Infarkte im Bereich des Thalamus beidseits sowie im Hirnstamm. Die Klägerin leidet seither an zusätzlichen erheblichen Gesundheitsbeeinträchtigungen.
Die Klage, mit der die Klägerin Schadensersatz und Schmerzensgeld gegen die Trägerin des sie behandelnden Krankenhauses geltend gemacht hat, hatte Erfolg. Zwar hat das Landgericht Aurich einen Behandlungsfehler verneint, jedoch eine fehlerhafte Risikoaufklärung angenommen und der Klägerin ein Schmerzensgeld in Höhe von 25.000,00 € zuerkannt sowie dem Feststellungsantrag stattgegeben. Im Rahmen der gegen dieses Urteil gerichteten Berufung brachte die Beklagte erstmals den Einwand vor, dass die Klägerin auch bei ordnungsgemäßer und vollständiger Aufklärung in den diagnostischen Eingriff eingewilligt hätte, so dass der Aufklärungsfehler nicht ins Gewicht falle (§ 630h Abs. 2 BGB). Diesen Einwand der so genannten hypothetischen Einwilligung hat das Oberlandesgericht Oldenburg als neues Vorbringen bewertet und es nicht zugelassen. Dabei hat das Gericht angenommen, dass es sich um einen unstreitigen Sachverhalt handelt, da die Klägerin keinen Entscheidungkonflikt dargelegt hat, in dem sie sich bei ordnungsgemäßer Aufklärung befunden hätte. Die Berufung der Beklagten wurde zurückgewiesen. Das Berufungsgericht hatte die Revision zugelassen, da bislang eine höchstrichterliche Entscheidung zu der Frage, ob bei unstreitigem Sachverhalt der Einwand einer hypothetischen Einwilligung in den ärztlichen Eingriff erstmals in zweiter Instanz erhoben werden könne, nicht vorliege.
Der Bundesgerichtshof hat die Revision der Beklagten zurückgewiesen. Zur Begründung führte er aus, dass die Risikoaufklärung nicht ordnungsgemäß erfolgt sei. Danach hätte der Arzt die Klägerin darüber informieren müssen, dass das sich später verwirklichte Schlaganfallrisiko in ihrem Fall auf das Doppelte angestiegen war.
Zwar muss nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die Aufklärung nicht über jede, noch so entfernt liegende Gefahrenmöglichkeit erfolgen. Der Patient muss nur „im Großen und Ganzen“ wissen, worin er einwilligt. Bei einem spezifisch mit der Therapie verbundenen Risiko hängt die Erforderlichkeit der Aufklärung nicht von der so genannten Komplikations- oder Risikodichte, also nicht davon ab, wie oft das Risiko zu einer Komplikation führt. Vielmehr ist die Bedeutung, die das Risiko für die Entschließung des Patienten haben kann, entscheidend. Wenn eine besonders schwere Belastung für die Lebensführung des Patienten in Betracht kommt, dann ist die Information über ein solches Risiko für die Einwilligung des Patienten auch dann von Bedeutung, wenn das Risiko nur selten zur Verwirklichung führt. Bei diagnostischen Eingriffen ohne therapeutischen Eigenwert wie der DSA sind grundsätzlich strengere Anforderungen an die Aufklärung des Patienten und die mit dem Eingriff verbundenen Risiken zu stellen als bei therapeutischen Eingriffen.
Nach diesen Grundsätzen war die Klägerin nicht nur über das grundsätzlich bestehende Schlaganfallrisiko aufzuklären, sondern auch darüber, dass dieses Risiko in ihrem Fall wegen ihrer Vorgeschichte auf das Doppelte angestiegen war. Im Hinblick darauf, dass die Verwirklichung des erhöhten Schlaganfallrisikos eine besonders schwere Belastung für die Lebensführung des Klägerin darstellen würde, konnte die Information über das individuell erhöhte Risiko für die Einwilligung der Klägerin ernsthaft ins Gewicht fallen. Die Klägerin hatte damit nicht alle notwendigen Informationen für die ihr obliegende Entscheidung über die Durchführung der diagnostischen Maßnahme und war daher in der Ausübung ihres Selbstbestimmungsrechts eingeschränkt.
Der Bundesgerichtshof hat auch die bis dahin noch nicht höchstrichterlich entschiedene Frage, ob bei einem streitigen Sachverhalt der Einwand der hypothetischen Einwilligung in den ärztlichen Eingriff erstmals in der zweiten Instanz erhoben werden könne, beantwortet. Laut BGH ist dieser Einwand als neues Verteidigungsmittel zu bewerten. Wird dieses neue Verteidigungsmittel erst in der zweiten Instanz vorgebracht, obwohl bereits ein erstinstanzlicher Vortrag möglich gewesen wäre, ist dieser Einwand als verspätet zurückzuweisen. Denn eine Prozesspartei muss schon im ersten Rechtszug die Angriffs- und Verteidigungsmittel vorbringen, deren Relevanz für den Rechtsstreit ihr bekannt ist oder ihr hätte bekannt sein müssen und zu deren Geltendmachung sie imstande ist. Die vom Berufungsgericht aufgeworfene Frage, ob bei einem unstreitigen Sachverhalt der Einwand der hypothetischen Einwilligung in den ärztlichen Eingriff erstmals in der zweiten Instanz erhoben werden könne, wurde zwischenzeitlich durch den BGH entschieden: BGH, Urteil vom 18.11.2008 – VI ZR 198/07; vgl. auch den Beschluss des BGH vom 23.06.2008, Az: GSZ 1/08). Danach ist dieser Einwand ebenfalls als neues Verteidigungsmittel zu bewerten und das Vorbringen als verspätet zurückzuweisen.
Der Bundesgerichtshof meinte jedoch, dass vorliegend, entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts, ein streitiger Sachverhalt hinsichtlich der der hypothetischen Einwilligung zugrundeliegenden Tatsachen vorlag. Denn die Klägerin hatte mangels eines entsprechenden Vortrags der Beklagten zur hypothetischen Einwilligung keinen Anlass, ihren Entscheidungskonflikt, in dem sie sich bei ordnungsgemäßer und vollständiger Aufklärung befunden hätte, substantiiert darzulegen und plausibel zu machen. Daher kann entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht angenommen werden, dass die Klägerin sich unstreitig auch bei ordnungsgemäßer Aufklärung dem diagnostischen Eingriff unterzogen hätte.
Die vollständige Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 18.11.2008 – VI ZR 198/07 können Sie hier als PDF herunterladen:
BGH, Urteil vom 18.11.2008, Az: VI ZR 198/07
Hinweise zu den Einzelheiten der Aufklärungsverpflichtungen eines Arztes finden Sie hier:
Zu der Problematik der Aufklärungspflicht über Risiken finden Sie hier weitere Informationen:
Opfer von Behandlungsfehlern oder Verkehrsunfällen stehen gegen den Schädiger Ersatz des materiellen Schadens (Verdienstausfall, Haushaltsführungschaden und Ersatz der vermehrten Bedürfnisse) zu. Während der materielle Schadensersatz konkret berechnet werden kann, ist der Ersatz des immateriellen Schadens (Schmerzensgeld) keiner Berechnung zugänglich. Das macht die Sache so schwierig. Schmerzensgeldtabellen, die Gerichtsentscheidungen auflisten, sind hier keine wirkliche Hilfe. Sie können lediglich zur groben Einschätzung verwertet werden.
Der Bundesgerichtshof hat schon sehr früh darauf hingewiesen, dass das Schmerzensgeld im Einzelfall für den Geschädigten mindestens so wichtig erscheinen kann, wie der materielle Schadensersatz.
Die höchstrichterliche Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sieht den Anspruch auf Schmerzensgeld nicht als gewöhnlichen Schadensersatzanspruch, sondern als einen Ausgleichsanspruch mit einer doppelten Funktion.
Die grundlegende Entscheidung des Bundesgerichtshofs aus dem Jahre 1955 finden Sie hier als PDF zum Download: BGH, Beschluss vom 06.07.1955 – GS 1/55.
Das Schmerzensgeld soll dem Geschädigten einen angemessenen („billigen“) Ausgleich für die erlittenen Schäden bieten und zugleich dem Gedanken Rechnung tragen, dass der Schädiger dem Geschädigten für das, was er ihm angetan hat, Genugtuung schuldet.
Das Schmerzensgeld soll aber auch körperliche und seelische Schmerzen, die Einbuße an Lebensfreude ausgleichen. Der Ausgleichsgedanke steht nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung im Vordergrund.
Dieser Anspruch ist mit Geld allerdings nur sehr unvollkommen und mittelbar zu verwirklichen: „Es gibt insoweit keine wirkliche Wiedergutmachung“, sagt der Bundesgerichtshof.
Der Schädiger, der dem Geschädigten das Leben schwer gemacht hat, soll helfen, es ihm im Rahmen des Möglichen wieder leichter zu machen.
Billig (= gerecht) ist eine Entschädigung dann, wenn sie durch die Billigkeit, das heißt durch eine angemessene Rücksichtnahme auf den entstandenen immateriellen Schaden gebotenen Höhe entspricht. Das ausschlaggebende Moment für die Bemessung ist Größe, Heftigkeit und Dauer der Schmerzen und Leiden. Die Lebensbeeinträchtigungen stehen im Verhältnis zu den anderen zu berücksichtigenden Umständen immer an der Spitze.
Für die Bemessung des Schmerzensgeldes ist also in erster Linie die Höhe und das Maß der Lebensbeeinträchtigungen zu berücksichtigen. Hierauf liegt also das Schwergewicht.
Lebensbeeinträchtigungen sind nicht nur die Beeinträchtigungen im körperlichen Sinne, also Verletzungen und Verletzungsfolgen, wie etwa der Verlust des Augenlichts oder eines Beins sondern darüber hinaus auch die psychischen Beeinträchtigungen. Eine große Rolle spielen auch die Lebensbeeinträchtigungen im Alltag (Aufgabe von Hobbys, Sport, Autofahren), der Verlust von Familie und Freundeskreis, entstellende Narben, die Verminderung der Heiratschancen, der Verlust der Zeugungsfähigkeit, die Einschränkung des Sexuallebens, Verlust des Berufs oder die Vereitelung des Berufswunsches und die dauerhafte Einnahme von Medikamenten (Nebenwirkungen, Abhängigkeit).
Folgerichtig habe ich die gängigsten Lebensbeeinträchtigungen an Hand der Rechtsprechung in Ihrer Bedeutung für die Bemessung des Schmerzensgeldanspruchs herausgearbeitet und zusammengefasst:
1. Die Bedeutung der Lebensbeeinträchtigungen für die Bemessung des Schmerzensgeldes
Die erlittenen Lebensbeeinträchtigungen sind für die Bemessung des Schmerzensgeldbetrages der zentrale Punkt.
2. Die Lebensbeeinträchtigungen im Alltag (Hobbys, Sport, Autofahren, Motorradfahren)
Der Verlust oder die Einschränkung von Freizeitbeschäftigungen muss sich spürbar auf die Höhe des Schmerzensgeldes auswirken.
3. Verlust von Freundeskreis und Familie als Lebensbeeinträchtigung
Auch der zeitweilige Verlust von Familie oder Freundeskreis ist ein Bemessungsfaktor für das Schmerzensgeld.
4. Entstellende Narben als Lebensbeeinträchtigung
Narben sind Dauerschäden! Für die Beeinträchtigung des Aussehens aufgrund einer entstellenden Narbe muss das Schmerzensgeld höher ausfallen.
5. Die Verminderung der Heiratschancen als Lebensbeeinträchtigung
Sind die Chancen auf eine Heirat und Gründung einer Familie vermindert, so muss ich das bei der Bemessung des Schmerzensgeldes deutlich bemerkbar machen.
6. Der Verlust der Zeugungsfähigkeit als Lebensbeeinträchtigung
Für die Bemessung des Schmerzensgeldes bei Verlust der Zeugungs- oder Gebärfähigkeit kommt es darauf an, ob der Kinderwunsch schon teilweise erfüllt worden ist, desgleichen auf das Alter.
7. Die Einschränkung oder Verlust des Sexuallebens als Lebensbeeinträchtigung
Für den Verlust oder die Einschränkung des Sexuallebens Lebens muss immaterieller Ersatz geleistet werden.
8. Verlust des Berufs oder Vereitelung des Berufswunsches als Lebensbeeinträchtigung
Die Zerschlagung des Berufswunsches oder der Verlust der Berufstätigkeit muss entschädigt werden.
9. Dauerhafte Einnahme von Medikamenten als Lebensbeeinträchtigung
Insbesondere Schmerzmittel und Opiate haben schwerwiegende Nebenwirkungen. Die Beeinträchtigung der Lebensführung ist zu entschädigen.
10. Schädigung der Psyche als Lebensbeeinträchtigung
Psychische Folgeschäden können das Leben so intensiv und nachhaltig beeinträchtigen, dass hohe Schmerzensgelder gezahlt werden müssen.
Die ordentlichen Gerichte haben von Verfassungs wegen die Verpflichtung, den Parteien rechtliches Gehör einzuräumen und für ein faires Verfahren zu sorgen. Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 01.06.17 – 2 BVR 3068/14 entschieden: Es obliegt von Verfassungs wegen den Gerichten zur Gewährung eines fairen Verfahrens, den Beteiligten alles für das Verfahren Wesentliche mitzuteilen und zwar von sich aus, auch ohne Antrag oder Nachfrage der Parteien. Das Bundesverfassungsgericht hat im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde in einem Arzthaftungsverfahren zugunsten eines Arztes eine außerordentlich wichtige Entscheidung getroffen und sich darum bemüht, Parameter aufzuzeigen, nach denen in einem Rechtsstaat Gerechtigkeit hergestellt werden muss durch die Zivilgerichte.
Die Entscheidung ist sehr zu begrüßen. Das Verfassungsgericht gibt einem Arzt Recht. Warum bespreche ich sie als Patientenanwalt also so euphorisch? Ganz einfach: Anstatt des Arztes hätte es genauso gut den Patienten treffen können. Es kommt in diesem Verfahren überhaupt nicht darauf an, wer gewonnen oder verloren hat. Dem Arzt ist sein rechtliches Gehör genommen worden. Das darf genauso wenig sein, als wenn das Gleiche einem Patienten passiert.
Der Beschwerdeführer vor dem Verfassungsgericht ist der in den zivilrechtlichen Ausgangsverfahren beklagte Augenarzt. Der Patient ließ beidseitig eine LASIK-Operation durchführen. „Laser in-situ Keratomileusis“ heißt: Die Umformung der Hornhaut durch Anwendung von Laserenergie. Diese Behandlung birgt Risiken.
Sehr bald nach der Operation kam es zu einer inneren Hornhautentzündung. Der Patient büßte 50 Prozent seiner Sehkraft ein.
Nach einem erfolglosen Schlichtungsverfahren erhob er Klage, weil seiner Meinung nach die gebotene Risikoaufklärung unterblieben sei. Der Patient führte in seiner Klagebegründung aus, dass er vor der Operation von dem Beschwerdeführer mit keinem Wort darüber aufgeklärt worden sei, dass der geplante LASIK-Eingriff auch zu einer Verschlechterung der Sehfähigkeit führen könne. Ein Aufklärungsformular habe er zwar unterschrieben, aber niemals erhalten. Der Augenarzt hat in seiner Klageerwiderung vorgetragen, dass er den Patienten besonders ausführlich mündlich über Chancen und Risiken aufgeklärt habe. Der Augenarzt ist in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht vernommen worden. Er konnte sich an die streitgegenständliche Aufklärung im Einzelnen nicht mehr erinnern, aber er machte sehr umfangreiche Ausführungen dazu, wie er solche Aufklärungsgespräche üblicherweise handhabe. Dieser sogenannte „Immer-So-Beweis“ ist im Arzthaftungsrecht eine zulässige Verteidigungsstrategie im Rahmen einer Auseinandersetzung über die Aufklärung, für die der Arzt beweisbelastet ist.
Das Landgericht wies die Klage ab, hielt sich daran, dass der Augenarzt die Hürde der Immer-So-Aufklärung genommen habe. Deswegen sei die Kammer überzeugt, dass der Arzt über alle maßgeblichen Risiken des Eingriffs aufgeklärt und der Patient auch einen Aufklärungsbogen erhalten habe.
Gegen dieses Urteil hat der Patient Berufung eingelegt. Das Berufungsgericht regte an, dass wegen der Pensionierung des Senatsvorsitzenden eine Entscheidung im schriftlichen Verfahren ergehen könne. Beide Parteien stimmten zu. Das Oberlandesgericht verurteilte nunmehr den Arzt ohne mündliche Verhandlung wegen mangelhafter Aufklärung (er habe nicht über die Möglichkeit der Sehkraftminderung aufgeklärt), setzte den Streitwert auf 10.000,- Euro fest und ließ die Revision nicht zu. Weil Revisionen erst ab einem Streitwert von 25.000,- Euro zulässig sind, nahm das Gericht dem Arzt jede weitere Möglichkeit, zivilrechtlich gegen das Urteil vorzugehen.
Der Arzt beschwerte sich nach der vom Gesetz vorgesehenen Gehörsrüge beim Bundesverfassungsgericht und bekam Recht. Das Bundesverfassungsgericht sah in dem Vorgehen des Oberlandesgerichts eine Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG). Es beanstandet, dass das OLG ohne vorherigen Hinweis von der Fallbeurteilung durch das Landgericht abgewichen sei und ohne ihm Gelegenheit zur Verteidigung zu geben. Er hätte dann Beweis dazu angeboten, dass er im Rahmen eines mündlichen Aufklärungsgesprächs auf das eingriffsimmanente Risiko einer irreversiblen Sehverschlechterung hingewiesen hätte.
Das Bundesverfassungsgericht sah in dem Vorgehen des Oberlandesgericht eine verbotene Überraschungsentscheidung:
Die grundgesetzliche Verpflichtung, den Parteien rechtliches Gehör zu verschaffen, umfasst die Pflicht des Gerichts, darauf hinzuwirken, dass die Parteien sich rechtzeitig und vollständig über alle erheblichen Tatsachen erklären, insbesondere ungenügende Angaben zu den geltend gemachten Tatsachen ergänzen, die Beweismittel bezeichnen und die sachdienlichen Anträge stellen können. Aus diesem Grund darf konkret ein Berufungsbeklagter (also hier der Arzt) grundsätzlich darauf vertrauen, dass ihm das Berufungsgericht, wenn es in der Beweiswürdigung dem Erstrichter nicht folgen will, einen Hinweis erteilt, und zwar so rechtzeitig, dass darauf noch vor dem Termin zur mündlichen Verhandlung oder auch vor dem Ablauf einer Schriftsatzfrist im schriftlichen Verfahren reagiert werden kann.
Bereits gegen diese verfassungsrechtlich fundierte Hinweispflicht hat das Oberlandesgericht verstoßen, indem es nach Zustimmung der Parteien zur Entscheidung im schriftlichen Verfahren lediglich eine Schriftsatzfrist bestimmt und einen Verkündungstermin anberaumt hat.
Im Fall des Zeugenbeweises setzt eine neue Tatsachenfeststellung durch das Berufungsgericht eine erneute Vernehmung voraus. Insbesondere muss es einen bereits in erster Instanz vernommenen Zeugen nochmals vernehmen, wenn es dessen Aussage „anders würdigen“ beziehungsweise „anders verstehen oder werten“ will als die Vorinstanz. Auch von der Würdigung der Aussage einer Partei darf das Rechtsmittelgericht daher nicht abweichen, ohne die Partei erneut vernommen oder zumindest angehört zu haben.
Sofern das Gericht im Rahmen einer Vernehmung/Anhörung einen für die Aufklärung streitiger Tatsachen relevanten Aussageinhalt vermisst, muss es seinerseits nachfragen.
Es obliegt also von Verfassungswegen den Gerichten zur Gewährung eines fairen Verfahrens, von sich aus den Beteiligten alles für das Verfahren Wesentliche mitzuteilen und zwar auch ohne Antrag oder Nachfrage der Parteien.
Das Alles gilt meines Erachtens umso mehr, als bei einem Arzthaftungsprozess schon von der Sache her aus Gründen der Waffengleichheit ein (gemäßigter) Amtsermittlungsgrundsatz herrscht, zum Ausgleich des Wissensgefälles zwischen Arzt und Patient.
Die vollständige Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 01.06.17 – 2 BVR 3068/14 können Sie hier als PDF (144 KB) herunterladen:
BVerfG, Beschluss vom 01.06.17 – 2 BVR 3068/14
Hinweise zu den Einzelheiten der Aufklärungsverpflichtungen eines Arztes finden Sie hier:
Zu der (auch hier in Rede stehenden) Problematik des Aufklärungsbogens und seiner rechtlichen Bedeutung finden Sie hier weitere Informationen:
Die Problemstellung der schonungslosen Aufklärung bei Schönheitsoperationen (eine solche ist LASIK) wird hier behandelt: