Die geschädigte Oberkommissarin ist bei einem Motorradunfall neben anderen Verletzungen insbesondere am Knie schwer geschädigt worden. Zum Unfallzeitpunkt war sie 29 Jahre alt. (Zum Zeitpunkt des Urteils des Berufungsgerichts war sie 38).
Insgesamt erhielt sie 40.000 € Schmerzensgeld. Das Gericht hat berücksichtigt, dass die Geschädigte unfallbedingt in ihrer Freizeitgestaltung erheblichen Einschränkungen unterworfen ist. Sie kann nicht mehr mit dem Motorrad fahren, nicht mehr Reiten, Laufen und Radfahren sind eingeschränkt. Als Hauptpunkt für die Schmerzensgeldbemessung sah das Gericht, dass diese Einschränkungen Jahrzehnte dauern werden. Der Dauerschaden am linken Knie wird sie über 50 Jahre lang mit den Folgen des Unfalls konfrontieren. Hierbei sind weitere Verschlechterungen der Kniegelenksfunktion bis hin zu einer Kniegelenksprothese nicht ausgeschlossen.
Der Bundesgerichtshof sagt, dass über das Kriterium der Dauer des Leidens, dass die anderen Parameter bei der Schmerzensgeldbemessung nicht vergessen werden dürfen: Zwar ist die Dauer der Schmerzen, Leiden und Entstellungen eines der ausschlaggebenden Momente für die Bemessung der Lebensbeeinträchtigung. Als solches ist sie aber den ebenfalls wichtigen Kriterien der Größe und Heftigkeit der Schmerzen nicht vorrangig; ein Rangverhältnis lässt sich insoweit nicht aufstellen.
Das mag stimmen, jedoch zeigt die Dauer der Lebensbeeinträchtigungen plastisch, was ein Mensch erleiden muss. Hinzu kommt folgendes: Das Schmerzensgeld berücksichtigt alle Beeinträchtigungen im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung, soweit sie vorhersehbar sind. Das Gericht selbst sagt, dass die Entwicklung abwärts gehen kann bis hin zu einer Knieprothese. Selbstverständlich sind solche Gesundheitsverletzungen nicht unvorhersehbar. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung des BGH kann deshalb bei einer Verschlechterung keine Nachforderung des immateriellen Ersatzes (Schmerzensgeld) gefordert werden.
Eine Nachforderung ist nur dann möglich, wenn man sich auf eine Teilklage beschränkt. D. h.: es werden nur diejenigen Gesundheitsbeeinträchtigungen geltend gemacht, die bis zum Schluss der letzten mündlichen Verhandlung bestehen. Der Geschädigte wird mit dem Teilschmerzensgeld weniger bekommen, kann aber nachfordern. Das muss man in jedem Einzelfall gesondert überlegen. Ausführlichere Informationen bietet diese News: Teilschmerzensgeldklage.
Je länger der Zeitraum ist, den ein Geschädigter mit einem Knieschaden (unter anderem Gesundheitsschaden) leben muss, desto wahrscheinlicher ist in vielen Fällen auch eine Verschlechterung. Bei einem Knieschaden ist sie überwiegend wahrscheinlich. All dies ist eingerechnet in den Betrag von 40.000 €. Dieser Betrag wird dem Schaden nicht gerecht, wenn man mathematisch präzise in die Zukunft blickt.
Statistisch hat eine heute 29-jährige Frau nach der offiziellen Sterbetafel noch 54,7 Jahre zu leben. Der Allianz-Lebenserwartungsrechner geht sogar von 65,4 Jahren aus, also einer Lebenserwartung von 93,4 Jahren. Das Gericht hat den Gedanken der vor der Klägerin liegenden Jahre nicht vollkommen zu Ende gedacht. Wenn man das nämlich genau berechnet, dann hat die Klägerin 70 Prozent ihres Lebens mit Schmerzen vor sich und durfte 30 Prozent ohne Schmerzen verbringen. Das ist schon ein bedenkenswerter Punkt. Kniepatienten berichten oft, dass man die Verletzung mit jedem Schritt spürt. In Deutschland machen die Menschen im Durchschnitt am Tag 5.200 Schritte (also zu wenig). Das sind im Jahr: 1.898.000. Für die restliche Lebenserwartung der Geschädigten sind es 124.129.200 Schritte mit Schmerzen. Das sind pro Schritt 0,000322 Euro. Um auf einen Euro zu kommen, muss die Geschädigte 3106 Schritte gehen.
„Besondere Bedeutung kommt dem Gesichtspunkt des Alters bei der Bemessung des Schmerzensgeldes bei sehr jungen Menschen und sehr schweren Schäden zu, weil sie durch die Folgen eines Unfalls oder Arztfehlers in einem Alter betroffen werden, in dem junge Menschen mit großen Erwartungen in die Zukunft schauen und sie die Zerstörung aller Hoffnungen umso tiefer schmerzen muss, etwa bei einem hohen Querschnitt“ sagt Fachanwalt für Medizinrecht Dr. Lovis Wambach.
Das vollständige Urteil des Oberlandesgerichts Schleswig vom 2. Juli 2020 – 7 U 264 /19 können Sie hier herunterladen:
Schleswig-Holsteinisches OLG, Urteil vom 2. Juli 2020 – 7 U 264/19