Gesteigerte Aufklärungspflichten bei Behandlungskonzept entgegen den Facharztstandards – Fall: Bandscheibenvorfall/ Versteifungsoperation / bisegmentales Vorgehen

Bandscheibe

Bei unerforschten oder wenig erforschten medizinischer Methoden muss besonders sorgfältig aufgeklärt werden

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat in ständiger Rechtsprechung hinsichtlich der Aufklärung des Patienten folgende Maßstäbe bei der Anwendung unerforschter oder wenig erforschter medizinischer Methoden aufgestellt: Bei der Anwendung von Neulandmethoden muss die Aufklärung überobligatorisch sorgfältig erfolgen. Zudem muss der Behandler den Patienten darüber aufklären, dass er beabsichtigt, abweichend von der wissenschaftlich anerkannten und erfolgsversprechenden Vorgehensweise, eine noch unerforschte Außenseitermethode mit unbekannten Risiken anzuwenden.

Dieser Fall: besonderes Behandlungskonzept bei Bandscheibenvorfall/ Versteifungsoperation -> bisegmentales Vorgehen

Im vorliegenden Fall ist bei der Patientin nach einem Bandscheibenvorfall eine Versteifungsoperation durchgeführt worden. Diese Rückenoperationen sind an sich schon sehr problematisch, weil sie oftmals nicht zum Erfolg führen, Schmerzen verbleiben können und der Patient der Gefahr ausgesetzt ist, dass zusätzlich zu den bestehenden Beschwerden die an die Zone der Versteifung angrenzenden Segmente der Wirbelsäule schneller degenerieren (Anschlussdegeneration). In diesem Fall litt die Patientin unter so schweren Beschwerden, dass sie erwerbsunfähig wurde.

Das Besondere des Falls ist: bei der Patientin ist ein Behandlungskonzept angewandt worden, bei dem prophylaktisch schon das nächste Segment mit versteift wird (bisegmentales Vorgehen, bi = zwei). Die Operationsmethode des bisegmentalen Vorgehens ist ein Außenseiterkonzept. Die herrschende Meinung geht davon aus, dass die prophylaktische Versteifung dem Patienten nicht nur keinen Nutzen bringt, indem ein gesundes Segment ohne gesicherte Indikation mitoperiert wird. Es stellt sich (nachvollziehbar) über den fehlenden Benefit hinaus das Problem, dass die Anschlussdegeneration auch bei den Nachbarsegmenten des mitoperierten Segments auftreten kann.

Patientenklage auf Schadensersatz zunächst ohne Erfolg …

Die Patientin hatte mit ihrer Klage auf Schadensersatz und Schmerzensgeld in den Vorinstanzen (Landgericht Baden-Baden und dem Oberlandesgericht Karlsruhe) keinen Erfolg. Erst der Bundesgerichtshof hat die rechtlichen Konsequenzen der Außenseitermethode beleuchtet: Der Patient muss nicht nur über Erfolgsaussichten und Risiko der Neulandmethode aufgeklärt werden, sondern darüber hinaus, dass es sich bei dem geplanten Eingriff um eine neue und unerforschte Methode handelt, bei der nicht alle Risiken bekannt sind.

Der Bundesgerichtshof hat den Rechtsstreit an das OLG Karlsruhe zurückverwiesen. Dieses muss nun unter den Vorgaben des Bundesgerichtshofs den Umfang der Aufklärung ermitteln.

„Nicht nur die Aufklärungspflichten sind bei Außenseitermethoden erhöht, auch der Sorgfaltsmaßstab der Behandlung selbst ist bei Neulandmethoden gesteigert. Es gilt der Sorgfaltsmaßstab eines vorsichtigen Arztes“, sagt Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Dr. Lovis Wambach.

Das vollständige Urteil des Bundesgerichtshofs vom 15. Oktober 2019 – VI ZR 105 /18 können Sie hier als PDF (KB) herunterladen:

BGH, Urteil vom 15.10.2019 – VI ZR 105 /18

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