Arztfehler bei zwingend notwendiger Maßnahme

Arztfehler bei zwingend notwendiger Maßnahme

Klägerin war die Ehefrau des verstorbenen Patienten. Dieser litt unter zahlreichen Erkrankungen, auch unter solchen des Herzens, etwa unter undichten Herzklappen. Er hatte auch schon einen Herzinfarkt erlitten und eine Bypassoperation hinter sich gebracht. Seitdem absolvierte er jährlich eine Kontrolluntersuchung. Nach zwölf Jahren verschlechterte sich sein Zustand. Nach mehreren Behandlungen und Untersuchungen stellte sich heraus, dass eine Herzklappe hochgradig undicht war und eine erneute Bypassoperation unumgänglich war. Der Patient wurde dann einige Tage entlassen, stellte sich dann wieder im Krankenhaus zur Operation vor. Zu der Operation kam es aber nicht mehr, weil der Patient verstarb.

Die Ehefrau verlor in den ersten beiden Instanzen. Das Berufungsgericht (Oberlandesgericht) schmetterte die Berufung ohne mündliche Verhandlung mit einem Beschluss ab. Die Revision ist nicht zugelassen worden. Dagegen richtete sich ihre Beschwerde beim Bundesgerichtshof (Nichtzulassungsbeschwerde). Sie rügte, dass die Gerichte nicht zur Kenntnis genommen hätten, dass es schon viel früher Anzeichen für eine Fehlfunktion der Herzklappe gegeben habe. Das hatte ein privater Sachverständiger bekundet. Damit hatten die Gerichte sich nicht auseinandergesetzt, wozu sie aber verpflichtet gewesen wären.
Der BGH beanstandet auch die Zurückweisung der Berufung durch Beschluss. Das OLG habe sich mehr Mühe geben müssen. Auch wenn die formale Möglichkeit bestünde das Verfahren einstimmig per Beschluss zu beenden, so ist es Aufgabe eines Gerichtes – auch eines Berufungsgerichts – eine „fehlerfreie und überzeugende“ und damit „richtige“ Entscheidung des Einzelfalles zu bewerkstelligen.

Sodann klärt der BGH die Gerichten noch über die Definition der fachmedizinischen Standards auf: Schließlich wird das Berufungsgericht (OLG) zu beachten haben, dass das Absehen von einer ärztlichen Maßnahme – anders als es jedenfalls das Landgericht meint – nicht erst dann behandlungsfehlerhaft ist, wenn die Maßnahme „zwingend“ geboten war, sondern bereits dann, wenn ihr Unterbleiben dem im Zeitpunkt der Behandlung bestehenden medizinischen Standard zuwiderlief. Damit ist gemeint, dass die Gerichte geglaubt haben, es sei ein extremes („zwingend“) Abweichen von den medizinischen Standards notwendig, um einen Behandlungsfehler anzunehmen. Das aber ist nicht der Fall, zumindest für einen einfachen Behandlungsfehler, der für eine Haftung ausreicht.

Der (medizinische) Standard gibt Auskunft darüber, welches Verhalten von einem gewissenhaften und aufmerksamen Arzt in der konkreten Behandlungssituation aus der berufsfachlichen Sicht seines Fachbereichs im Zeitpunkt der Behandlung erwartet werden kann. Er repräsentiert den jeweiligen Stand der naturwissenschaftlichen Erkenntnisse und der ärztlichen Erfahrung, der zur Erreichung des ärztlichen Behandlungsziels erforderlich ist und sich in der Erprobung bewährt hat.

„Nach § 630a Abs. 2 BGB hat die Behandlung des Patienten nach den zum Zeitpunkt der Behandlung bestehenden, allgemein anerkannten fachlichen Standards zu erfolgen, soweit nicht etwas anderes vereinbart ist“, sagt Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Dr. Lovis Wambach.

Den Beschluss des Bundesgerichtshofs über die Nichtzulassungsbeschwerde können Sie als PDF (120 KB) hier herunterladen:

BGH, Beschluss vom 22.12.15, Az.: VI ZR 67/15

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