Einen durch einen Verkehrsunfall oder einen Behandlungsfehler Geschädigter hat Anspruch auf Ersatz seiner zukünftigen Schäden. Es besteht aber die Gefahr, dass Verjährung eintritt und solche Schäden nicht mehr geltend gemacht werden können. Das gilt es zu verhindern. Zu diesem Zwecke muss der Haftpflichtversicherer den Anspruch entweder in einer Weise anerkennen („titelersetzend“), als sei er von einem Gericht verurteilt worden; ein „normales“ Anerkenntnis reicht nicht aus, weil es nur drei Jahre in die Zukunft reicht und sodann verjährt, wohingegen Urteil oder titelersetzendes Anerkenntnis dem Geschädigten 30 Jahre Ruhe geben. Die andere Möglichkeit ist – wenn der Versicherer weigert, ein Anerkenntnis abzugeben -, einen solchen Feststellungsantrag klageweise geltend zu machen.
Hierbei gab es in der Vergangenheit immer wieder Schwierigkeiten in den unteren Instanzen. Während der Bundesgerichtshof bei der Zulässigkeit von Feststellungsklagen sehr großzügig verfuhr, haben Oberlandesgerichte oder Landgerichte die Zulässigkeit solcher Feststellungsklagen an vom Verletzten vorzutragende Voraussetzungen geknüpft.
Ein Beispiel: Das Oberlandesgericht Koblenz (Urteil vom 13.04.2015 – 12 U 677/12) hat einer bei einem Verkehrsunfall Geschädigten, die bei dem Autounfall eine leichte HWS-Distorsion Grad I erlitten hatte und sechs Wochen arbeitsunfähig gewesen war, den Feststellungsantrag zurückgewiesen. Die Klägerin behauptete, noch immer unter den Folgen des Unfalls (Schwindel und Kopfschmerz) zu leiden. Der gerichtliche Gutachter nahm an, dass diese Beschwerden auf Vorschäden zurückzuführen seien. Der Senat verneinte deshalb ein Feststellungsinteresse, wies die Klage ab und ließ die Revision nicht zu. Hätte das Gericht die Revision zum Bundesgerichtshof in Karlsruhe zugelassen, dann hätte die Klägerin Recht bekommen. In seinem Eifer hat das OLG nicht nur die Geltendmachung der zur Zeit des Klageverfahrens vorliegenden Gesundheitsbeeinträchtigungen verhindert, sondern auch solche Schäden, die unfallbedingt vielleicht auch noch in zwanzig Jahren auftreten können. Das geht sehr weit. Solcher obergerichtlichen Rechtsprechung ist nunmehr die höchstrichterliche Rechtsprechung entgegengetreten.
Ob eine Gesundheitsbeeinträchtigung als Schadensfolge tatsächlich vorliegt, ist eine Frage der Begründetheit der Klage. Die Frage, ob ein Schädiger für zukünftige Schäden haftet, betrifft die Zulässigkeit einer solchen Klage (Feststellungsinteresse). Ein solches Interesse hat der Bundesgerichtshof gemäß § 256 Abs. 1 ZPO schon früh und in ständiger Rechtsprechung bejaht, wenn die Entstehung des Schadens – sei es auch nur entfernt – möglich, aber noch nicht vollständig gewiss ist und der Schaden daher noch nicht abschließend beziffert werden kann, weil er sich noch in der Entwicklung befindet (BGH NJW 1991, 2707 f.; BGH NJW 2003, 2827; BGH, Beschluss vom 09.01.2007 – VI ZR 133/06).
Das besondere des hier besprochenen Urteils des höchsten deutschen Zivilgerichts ist Folgendes: Bei der Schädigung des Rechtsgutes der Gesundheit macht der Bundesgerichtshof die Feststellung der Ersatzpflicht für weitere, künftige Schäden von nun an nicht mehr von der weit entfernten Wahrscheinlichkeit ihres Eintritts abhängig; da die Entstehung des Anspruchs nicht von der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts abhängt. (BGH, Urteil vom 17.10.2017 – VI ZR 423/16).
Daraus folgt, dass bei Schädigung der Gesundheit die Begründetheit einer Klage, die auf die Feststellung der Ersatzpflicht für weitere, künftige Schäden gerichtet ist, nicht von der Wahrscheinlichkeit des Eintritts dieser Schäden abhängig ist.
„Das Feststellungsinteresse besteht nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sowohl hinsichtlich des materiellen als auch des immateriellen Schadens“, sagt Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Dr. Lovis Wambach.
Das vollständige Urteil des Bundesgerichtshofs vom 17.10.2017 – VI ZR 423/16 können Sie hier als PDF (202 KB) herunterladen:
Exkurs zu den Zukunftsschäden:
Wenn der Feststellungsantrag vor Gericht korrekt gestellt ist, werden Arzt, Krankenhaus oder der Verursacher eines Verkehrsunfalls zusätzlich zu der Schmerzensgeldzahlung verurteilt, sämtliche zukünftigen Schäden zu übernehmen, sei es Haushaltsführungsschaden, Erwerbsschaden (Verdienstausfall) oder die vermehrten Bedürfnisse: Pflegekosten, Umbaukosten oder Fahrten zu Ärzten. Wird außergerichtlich ein Abfindungsvergleich abgeschlossen kann sich das Problem stellen, dass bestimmte Zukunftsansprüche (etwa Pflegekosten) von dem Vergleich umfasst sein sollen. Sie sollen in der Zukunft geltend gemacht werden. Hier reicht es dann nicht wie oben schon erwähnt, wenn der Versicherte nur ein einfaches Anerkenntnis abgibt. Ein einfaches Anerkenntnis unterliegt lediglich der Regelverjährung von drei Jahren. Um die gleiche Wirkung zu erreichen, die ein gerichtliches Urteil entfaltet, ist unbedingt ein sogenanntes titelersetzendes Anerkenntnis notwendig. Damit ist gemeint, dass sich der Verursacher des Schadens oder dessen Versicherer sozusagen selbst verurteilt. Er muss also beispielsweise formulieren:
„Wir erklären mit einem rechtskräftigen Feststellungsurteil vom heutigen Tage in seiner Wirkung gleichgestellt, dass wir die aus dem Schadensereignis/ Behandlungsfehler vom xx.xx.xx resultierenden materiellen und immateriellen Schäden für Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ersetzen, soweit diese nicht auf einen Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder übergehen werden.“
Mit dieser Formulierung beträgt die Verjährungsfrist 30 Jahre. Besonders bei jungen Geschädigten ist also unbedingt darauf zu achten, dass vor Ablauf der 30 Jahre rechtzeitig ein neues titelersetzendes Anerkenntnis abgegeben wird, um die Ansprüche zu erhalten.
Welche finanziellen Dimensionen der Zukunftsschaden ausmachen kann, wird aus der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 28.8.2018 – VI ZR 518 /16 deutlich. Aus dem tragischen Schicksal der jungen Geschädigten kann man ersehen, dass bei schwerstgeschädigten Menschen im Laufe ihres Lebens durchaus zehn Millionen Euro für die häusliche Pflege aufgewendet werden müssen. Dieser Schadensposten ist also sehr viel höher als das höchste Schmerzensgeld. Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass diese Kosten für Pflege im häuslichen Umfeld auch dann übernommen werden müssen, wenn sie die Kosten für die Pflege in einem Pflegeheim übersteigen. Der BGH sagt auch ausdrücklich, dass es keine Obergrenze gibt.
Ausführlich habe ich diese höchstrichterliche Entscheidung des BGH hier besprochen:
Auch höchste Pflegekosten müssen übernommen werden
Einen Überblick zu den verschiedenen Zukunftsschadensposten finden Sie hier:
Den Haushaltsführungsschaden erklären wir mit einem Text und auch einem leicht zu verstehenden Erklärvideo hier:
Der Erwerbsschaden wird hier erklärt, gleichfalls mit einem anschaulichen Erklärvideo:
Der Mehrbedarfsschaden (vermehrte Bedürfnisse) wird hier erklärt, ebenfalls mit einem entsprechenden Erklärvideo: