Verfahrensmangel
In einem Arzthaftungsprozess wird immer ein medizinisches Sachverständigengutachten eingeholt. Diesen in Stein gegossenen Richtsatz haben das Landgericht Gera und das Oberlandesgericht Jena verkannt. Dieser Verfahrensmangel konnte vor dem höchsten deutschen Zivilgericht, dem Bundesgerichtshof, nicht bestehen. Das hätte beiden Gerichten von Anfang an klar sein müssen. Es ist absolut unverständlich, wie es zu diesen Gerichtsentscheidungen kommen konnte. Die Urteile sind, so würde es der Medizinrechtler sagen, grob fehlerhaft und unverständlich; dieser Verfahrensfehler dürfte schon einem Amtsrichter schlechterdings nicht unterlaufen.
Der Fall – Komplikationen beim Darmverschluss
Wie dem auch sei: in dem Fall ging es darum, dass die Tochter und Erbin für ihre verstorbene Mutter vor Gericht stritt. Ihre Mutter war vermutlich an den Komplikationen eines Darmverschlusses gestorben. Sie hatte bei der Schlichtungsstelle für Arzthaftpflichtfragen der norddeutschen Ärztekammern vorgerichtlich ein Schlichtungsverfahren durchgeführt. Dort wurde ein Schlichtungsgutachten eingeholt, das einen Behandlungsfehler verneinte. Die Tochter erhob Klage. Beide Instanzen verneinten einen Schadensersatzanspruch, indem sie davon absahen, neben dem Schlichtungsgutachten (Privatgutachten!) ein weiteres Sachverständigengutachten (Gerichtsgutachten!) einzuholen.
Die Klägerin hatte im Revisionsverfahren mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde Erfolg (d. h.: das Oberlandesgericht hat die Revision nicht zugelassen, wogegen sich die Klägerin vor dem BGH wandte). Der Bundesgerichtshof führt aus, dass zwar aus einem vorangegangenen Verfahren einer Schlichtungsstelle das dort eingeholte Gutachten im Wege des Urkundenbeweises gewürdigt werden kann. Das führt aber nicht dazu, dass der Patient in einem Arzthaftungsverfahren mehr vortragen muss, als ohne ein solches Gutachten. Die Anforderungen an die Darlegungslast sind in Arzthaftungsverfahren gering.
Schlichtungsgutachten kann Sachverständigenbeweis nicht ersetzen!
Das Schlichtungsgutachten ist auf Beweisebene nicht geeignet den Sachverständigenbeweis zu ersetzen. Ein Schlichtungsgutachten kann mangels gerichtlicher oder staatsanwaltlicher Veranlassung nicht als gerichtliches Sachverständigengutachten verwertet werden. Das Gericht muss vielmehr einen gerichtlichen Sachverständigen bestellen und eine schriftliche und gegebenenfalls auch mündliche Begutachtung anordnen. Der Urkundenbeweis darf nicht dazu führen, dass den Parteien das ihnen zustehende Recht genommen wird, den Sachverständigenbeweis (der ihnen zusteht) anzutreten.
Der Bundesgerichtshof ist eine reine Rechtsinstanz, er kümmert sich ausschließlich um Rechtsfragen, nicht um Tatsachen; deshalb musste er den Rechtsstreit an das Berufungsgericht (OLG) zurückweisen, damit dort dann das entsprechende gerichtliche Sachverständigengutachten eingeholt wird.
„Die Zivilprozessordnung sieht vor, dass das Revisionsgericht die Rechtssache an einen anderen Spruchkörper des Berufungsgerichts zurückweisen kann“, sagt Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Dr. Lovis Wambach, „das hat der Bundesgerichtshof in diesem Fall leider nicht getan. Es wäre aber bei dermaßen schwerwiegenden Verfahrensfehlern angebracht gewesen!“