Verjährung: Definition und Fallstricke

Die Verjährungsproblematik ist im Arzthaftungsrecht verwickelt und birgt einige Fallstricke

Arzthaftungsrechtliche Angelegenheiten sind erfahrungsgemäß komplex, weil der Patient dem Behandler einerseits nachweisen muss, dass er nicht ordnungsgemäß aufgeklärt (siehe unter Aufklärung) oder nicht nach den ärztlichen Facharztstandards behandelt worden ist. Andererseits muss der Patient außerdem – es sei denn, es liegt ein außergewöhnlich schwerer (grober) Behandlungsfehler (siehe unter Beweislast) vor – beweisen, dass sein Gesundheitsschaden auf dem Behandlungsfehler beruht (siehe unter Kausalität). Das ist zum einen beschwerlich, zum anderen können die Recherchen lange dauern. Wenn etwas Zeit in Anspruch nimmt, droht Verjährung. Einen verjährten Anspruch kann man vor Gericht nicht mehr durchsetzen, wenn sich der Gegner auf Verjährung beruft, was die hinter Krankenhaus und Ärzten stehenden Berufshaftpflichtversicherer naturgemäß tun. Die Verjährung von medizinrechtlichen Schadensersatzansprüchen beginnt am Ende desjenigen Jahres zu laufen, in dem der Geschädigte von dem Schaden und der Person des Schädigers Kenntnis erlangt hat (§ 199 BGB). Sie läuft sodann drei Jahre (§ 195 BGB). Das heißt: Weiß ein Patient irgendwann im Jahre 2016, dass ein Behandlungsfehler vorliegt und wer ihn falsch behandelt hat, wird bis zum Ende des Jahres gerechnet, sodann läuft die Verjährung drei Jahre, nämlich 2017, 2018 und 2019. Sie endet Silvester 2019, wenn sie nicht durch ein Gerichtsverfahren oder Schlichtungsverfahren gehemmt wird (§ 204 Abs. 1 Nr. 4 BGB). Möglich ist es auch, die Verjährungsfrist durch einen Vergleich (siehe dort) zu verlängern. Noch schwieriger wird das Beispiel, wenn am Ende des Jahres 2019 zum 31.12.2019 ein Schlichtungsverfahren eingeleitet worden ist. Die Einleitung des Schlichtungsverfahrens (erforderlich ist zusätzlich die baldige „demnächst“ Bekanntgabe des Schlichtungsantrags an die Gegenseite) hemmt die Verjährung. Die Bekanntgabe des Güteantrags geschieht von Amts wegen, so dass die Parteien vor Nachteilen durch Verzögerungen innerhalb des Geschäftsbetriebes der Gütestelle bewahrt werden, weil diese Verzögerungen von ihnen nicht beeinflusst werden können. Es gibt deshalb keine absolute zeitliche Grenze, nach deren Überschreitung eine Bekanntgabe nicht mehr als "demnächst" anzusehen ist. Dies gilt auch dann, wenn es aufgrund einer Arbeitsüberlastung der Schlichtungs- oder Gütestelle zu mehrmonatigen Verzögerungen kommt. Denn Verzögerungen bei der Bekanntgabe, die durch eine fehlerhafte Sachbehandlung der Gütestelle verursacht sind, muss sich der Antragsteller nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs grundsätzlich nicht zurechnen lassen. Das Verfahren endet mit Zustellung des Schlichtungsspruches am 20.11.2020. Sodann wirkt die Hemmung sechs Monate fort (§ 204 Abs. 2 BGB). Diese weitere Hemmung – Ablaufhemmung genannt – beginnt am Tag nach der Zustellung des Schlichtungsspruchs, also am 21.11.2020. Sie endet dann mit Ablauf des 21.05.2021. An diesem Tag muss bis 24:00 Uhr eine Klage bei Gericht eingegangen sein, um die Verjährung weiter zu hemmen, ansonsten sind die Ansprüche endgültig verjährt. Die Gegenseite kann sich dann auf die Einrede der Verjährung berufen, so dass der Anspruch auf Schadensersatz und Schmerzensgeld vor Gericht nicht mehr durchsetzbar ist. Möglich ist auch, rechtzeitig einen Verjährungsverzicht zu vereinbaren, wenn die Gegenseite dem zustimmt, ist man auch damit auf der sicheren Seite. Den Ablauf eines Verjährungsverzichts muss man natürlich überwachen und sich rechtzeitig eine Frist eintragen, um ihn zu verlängern oder eine Klage zu erheben. Bei der Erhebung einer Klage gilt Folgendes: Zwar wirkt die Hemmung der Verjährung bei einem Klageverfahren bis zum Abschluss der letzten Instanz, jedoch muss auch hier bei der Herbeiführung der Hemmung über das Jahresende hinaus fachgerecht vorgegangen werden. Es reicht nicht, dass die Klageschrift noch am Ende des Jahres (Silvester) an das Gericht gefaxt, per beA (besonderes elektronisches Anwaltspostfach) eingereicht oder in den Nachtbriefkasten geworfen wird. Die Klage muss dem Gegner nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auch alsbald zugestellt werden. Sinnvollerweise fügt der Rechtsanwalt dann einen Verrechnungsscheck bei, damit das Gericht die Gerichtskosten einlösen kann. Die Zustellung erfolgt nämlich erst dann, wenn das Gericht den Gerichtskostenvorschuss erhalten hat. Wird kein Scheck beigefügt, muss das Eintreffen der Gerichtskostenrechnung überwacht werden und dann sichergestellt werden, dass die Einzahlung des Gerichtskostenvorschusses binnen zwei Wochen (und damit alsbald) nach Zugang der Vorschussrechnung bei der Gerichtskasse eingeht. Die daraufhin vorgenommene Zustellung ist damit demnächst im Sinne des § 167 ZPO (Rückwirkung der Zustellung) erfolgt, so dass es hier für die Hemmung der Verjährung auf den Eingang der Klageschrift und nicht auf das Datum der Zustellung ankommt. Die Verjährungshemmung ist damit – sozusagen rückwirkend – in nicht rechtsverjährter Zeit eingetreten. Danach kann verjährungstechnisch in der ersten Instanz nichts mehr passieren. Muss der Instanzenzug aber mit der Berufung und/oder der Revision ausgeschöpft werden, dann darf natürlich die Berufungsfrist nicht versäumt werden. Zum Eingang in die letzte Instanz muss die Frist zur Einlegung der Revision eingehalten werden. Beide Fristen betragen einen Monat ab Zustellung des Urteils. Man sieht, dass es jede Menge Gefahrpotenzial gibt, wenn man mit der Erhebung einer Klage bis zum letzten Tag wartet. Trotzdem machen das viele Anwälte. Das ist schon deshalb nicht verständlich, weil nach den Statistiken der Berufshaftpflichtversicherer für Rechtsanwälte Fristversäumnisse ein auffallend häufiger Grund für die Haftung des Anwalts sind. Statistisch gehen gut 40 Prozent der Haftungsfälle auf verpasste Fristen zurück. Unsere Kanzlei hat noch nie eine Frist versäumt. Für den Fall der Fälle sind wir aber höher versichert, als die meisten Anwälte, nämlich mit 2.500.000,- Euro.

Problem: Behandlungsfehler werden oft nur nach und nach offenbar

Soweit die Frage der Kenntnis eindeutig ist, stellt sich kein Problem. Oft aber wird die genügende Kenntnis des Behandlungsfehlers erst nach und nach offenbar. Die Folgen und die Komplikationen im Verlauf einer ärztlichen Fehlbehandlung weisen nicht stets auf ein Fehlverhalten hin. Eine ausreichende Kenntnis des Patienten von den Tatsachen, die ein derartiges Fehlverhalten nahe legen, setzt deshalb mindestens die Kenntnisse der wesentlichen Umstände des Behandlungsverlaufs, insbesondere etwaige anatomische Besonderheiten und das von den medizinischen Facharztstandards abweichende ärztliche Vorgehen voraus. Der Patient muss nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) so viel wissen, dass bei zutreffender medizinischer und rechtlicher Würdigung, ohne weitere Ermittlung bisher verborgener Fakten, eine Einschätzung der Prozessaussichten möglich ist. Es kommt also für den Beginn der Verjährungsfrist nur auf die Kenntnis der anspruchsbegründenden Tatsachen, nicht aber auf deren zutreffende rechtliche Würdigung an. Fehlen dem Patienten erforderliche Kenntnisse, muss er sich zwar generell sachkundig machen; nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist aber allein die Tatsache, dass das Ergebnis der Behandlung nachteilig ist, kein hinreichender Anhaltspunkt oder Verdachtsgrund, dessen Verkennung grob fahrlässig ist. Nicht nachzufragen, ist lediglich dann als grob fahrlässig einzustufen, wenn weitere Umstände hinzutreten, die aus Sicht eines verständigen und auf seine Interessen bedachten Geschädigten es unverständlich erscheinen lassen, weiter nachzuforschen. Es müssen also konkrete Anhaltspunkte für das Bestehen eines Anspruchs ersichtlich sein und sich der Verdacht einer Schädigung aufdrängen. Wenn der Geschädigte bei der gesetzlichen Krankenkasse anregt, ein Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen (MDK) einzuholen, heißt auch das nicht zwangsläufig, dass genügende Kenntnis vorliegt, da der Sachverhalt ja gerade aufgeklärt werden soll. Etwas anderes gilt, sobald das positive Gutachten vorliegt oder auch, wenn der Geschädigte eine detaillierte Strafanzeige oder einen Schlichtungsantrag bei der Schlichtungsstelle für Arzthaftpflichtfragen stellt, in der er den Behandlungsfehlervorwurf konkret formuliert. Unabhängig von der Kenntnis tritt die Verjährung bei Gesundheitsschäden spätestens 30 Jahre nach dem schädigendem Ereignis ein (Höchstfrist der Verjährung bei Gesundheitsschäden, § 199 Abs. 3 Satz 3 BGB). Der Lauf der Verjährungsfrist ist nicht unbedingt stringent. Wenn die Verjährung zu laufen begonnen hat, kann sie beispielsweise gehemmt sein, indem der Patient einen Antrag auf Schlichtung bei einer Schlichtungsstelle für Arzthaftpflichtfragen stellt. Die Bemühungen, die Streitigkeit außergerichtlich beizulegen, honoriert der Gesetzgeber damit, dass die Hemmung erst sechs Monate nach Ende oder Abbruch des Schlichtungsverfahrens endet (s.o.). Gehemmt ist die Verjährungsfrist auch dann, wenn zwischen den Parteien (etwa zwischen dem Patienten und dem Berufshaftpflichtversicherer) Verhandlungen schweben und zwar so lange, bis die Verhandlungen von einer der beiden Seiten abgebrochen werden. Dann wirkt die Hemmung der Verjährung noch drei Monate nach (§ 203 BGB). Wenn die Verhandlungen einschlafen, was nicht selten vorkommt, kann daraus ein Abbruch der Verhandlungen erst dann hergeleitet werden, wenn der Berechtigte den Zeitpunkt versäumt, zu dem eine Antwort auf die letzte Anfrage des Ersatzpflichtigen spätestens zu erwarten gewesen wäre, falls die Regulierungsverhandlungen mit verjährungshemmender Wirkung hätten fortgesetzt werden sollen. Hierbei kommt es sehr auf den Einzelfall an. Die Gerichte haben schon Verhandlungspausen von drei bis sechs Monaten für relevant erachtet. Man muss also unbedingt darauf achten, dass eingeschlafene Verhandlungen nicht gänzlich abbrechen. Eine Zahlung des Schädigers auf einen einzelnen Schadensposten (Schmerzensgeld, Erwerbsschaden, Haushaltsführungsschaden oder Mehrbedarfsschaden) lässt die Verjährung nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs neu beginnen. Beispiel: Eine Abschlagszahlung am 15.02.2021 lässt den Lauf der Verjährungsfrist am Schluss des Jahres 2021 beginnen, sodass der Gesamtanspruch erst zum Schluss des Jahres 2024 verjähren kann, soweit zwischenzeitlich keine weitere Zahlung erfolgt. Wie man sieht, ist die Verjährungsproblematik im Arzthaftungsrecht verwickelt und birgt einige Fallstricke. Es ist deshalb ratsam, als Geschädigter stets den Fluss der Zeit im Auge zu haben. Siehe auch: Vergleich (Abfindungsvergleich).
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