Unterlässt es ein Sportlehrer bei einem Unglücksfall während des Sportunterrichts seinem Schüler mit Erste-Hilfe-Maßnahmen Beistand zu leisten, kommt eine Haftung in Betracht. Ist in dem Unterlassen ein grober Fehler zu sehen, zieht dies zwar eine Haftung nach sich, jedoch keine Beweislastumkehr wie im Falle eines groben Behandlungsfehlers, den ein Arzt begeht.
Der Kläger, ein 18 Jahre alter Schüler der Klasse 13, nahm am Sportunterricht teil. Nach 5 Minuten stellte er sich an die Seitenwand der Sporthalle, rutsche dort eine Sitzposition und reagierte nicht mehr. Die Sportlehrerin setzte einen Notruf zur Rettungsleitstelle ab und brachte den Schüler in eine stabile Seitenlage. Später trafen Rettungswagen und Notarzt ein. Diese begann sofort mit Wiederbelebungsmaßnahmen. Der Kläger wurde in die Klinik gebracht. Trotzdem ist er aufgrund der Sauerstoffunterversorgung schwerstgeschädigt. Er verlangt vom Land Hessen (Staatshaftung) den Ersatz seiner Schäden, weil die Sportlehrerin erforderliche und zumutbare Erste-Hilfe-Maßnahmen nicht durchgeführt hat. Hätte sie den Kläger nicht nur in eine stabile Seitenlage gebracht, sondern eine standardgerechte Notfallversorgung mit Atemkontrolle, Atemspende und Herzdruckmassage durchgeführt, wäre es zu dem Gehirnschaden möglicherweise nicht gekommen.
Der III. Senat des BGH hat festgestellt: Obwohl die bei grober Fahrlässigkeit im Arzthaftungsrecht vom VI. Senat des Bundesgerichtshofs entwickelten Beweisgrundsätze zwar auf Ärzte, Rettungsleitstellen, Hausnotrufdienste und Bademeister anwendbar sind, weil die Lebensrettung zu deren Kernpflichten zählt; hat der III. Senat diese Grundsätze auf (Sport-)Lehrer nicht angewandt, da die Lebensrettung keine Hauptpflicht von Lehrern darstellt.
Dennoch beschränkt sich bei den pflichtwidrig unterlassenen Hilfemaßnahmen von Sportlehrern deren Haftung nicht auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit, weil ihnen ein Haftungsprivileg für Nothelfer nicht zugute kommt. Der Senat sagte gleichfalls, dass es nicht angemessen wäre, wenn der Staat die Schüler zur Teilnahme am Sportunterricht zwingt, andererseits aber bei Notfällen im Sportunterricht einer Haftung für Amtspflichtverletzungen der Lehrkräfte nur bei grober Fahrlässigkeit und damit nur in absoluten Ausnahmefällen zuließe.
Da eine Umkehr der Beweislast demnach nicht in Betracht kommt, muss nach wie vor der Schüler beweisen, dass sein Gesundheitsschaden auf dem Fehlverhalten der Lehrer beruht. (Im Falle der Beweislastumkehr müssten die Lehrer beweisen, dass die Hirnschäden auch eingetreten wären, wenn sie sich ordnungsgemäß verhalten hätten).
Deshalb muss der Sachverhalt weiter aufgeklärt werden. Zwischen den Parteien ist streitig, wann die Atmung des Klägers genau ausgesetzt hat. Wenn die Atmung, wie von den Beklagten behauptet, erst unmittelbar vor Eintreffen der Rettungskräfte ausgesetzt hat, könnte es sein, dass die Hirnschädigung mit dem Fehlverhalten der Lehrer nichts tun hat, es an der Kausalität fehlt, wie die Juristen sagen.
Der Bundesgerichtshof hat deswegen den Rechtsstreit an das Oberlandesgericht Frankfurt am Main zurückverwiesen. Dieses muss einen medizinischen Sachverständigen beauftragen, der zu klären hat, ob der Zeitpunkt des Atemstillstands bestimmbar ist, bzw. die Dauer der Sauerstoffunterversorgung bestimmt werden kann; darüber hinaus müssen die Folgen der unterlassenen Reanimationsmaßnahmen sachverständig geklärt werden. Der Sachverständige muss dann die medizinischen Unterlagen und das Notfalleinsatzprotokoll auswerten.
„In der Regel zieht eine hypoxische Hirnschädigung massive Gesundheitsbeeinträchtigungen nach sich, sodass Geschädigte Anspruch auf ein hohes Schmerzensgeld, den Ersatz des Verdienstausfalls, den Ausgleich des Haushaltsführungsschadens und jeglichen verletzungsbedingten Mehrbedarf (zum Beispiel Pflegekosten) haben, sagt Rechtsanwalt und Fachanwalt für Verkehrsrecht Rouven Walter.
Das vollständige Urteil des Bundesgerichtshofs vom 04.04.2019 – III ZR 35/18 können Sie sich hier als PDF (164KB) herunterladen: