Strenge Anforderungen an die mutmaßliche Einwilligung

Strenge Anforderungen an die mutmaßliche Einwilligung

Dem Beschluss des Bundesgerichtshofs lag folgender Sachverhalt zugrunde: Die Klägerin musste sich einer Chemotherapie unterziehen, die sie in einer Gemeinschaftspraxis vornehmen ließ. Dabei erlitt sie schwere Schäden, weil das Zytostatikum in das Gewebe neben dem punktierten Gefäß gelangte, statt in das Gefäß selbst (Paravasat). Im weiteren Verlauf kam es zu einer Nekrose (Tod von Zellen durch Schädigung der Zellstruktur), wegen der die Klägerin zahlreiche Operationen über sich ergehen lassen musste und im Ergebnis beide Brüste entfernt wurden.

Die Patientin forderte wegen unterlassener Aufklärung Schadensersatz und Schmerzensgeld. Der Arzt müsste also darlegen, dass er die Patientin rechtzeitig, korrekt, verständlich und vollständig aufgeklärt und diese dann in die Behandlung eingewilligt hat. Das konnte er nicht. Ihm verblieb ein letztes Verteidigungsmittel: Wenn er nicht aufgeklärt hat, kann sich der Arzt unter sehr strengen Voraussetzungen mit der von ihm zu beweisenden Verteidigung der so genannten hypothetischen Einwilligung verteidigen. Er muss also plausibel darlegen, dass die Patientin mutmaßlich auch bei ordnungsgemäßer Aufklärung in den Eingriff eingewilligt hätte. Gelingt ihm das, muss wiederum die Patientin erläutern, weshalb sie bei Kenntnis der Umstände, das heißt: Wenn sie aufgeklärt worden wäre, die Behandlung abgelehnt haben würde oder zumindest überdacht hätte, den Eingriff vornehmen zu lassen. Sie muss Gründe anführen, die ihr Verhalten im Falle der ordnungsgemäßen Aufklärung nachvollziehbar erscheinen lassen. Ausreichend ist die plausible Darlegung der Patientin, dass sie die Frage, ob er die Maßnahme in dem konkreten Umfang tatsächlich durchführen soll, ernsthaft und nachhaltig in einen inneren Konflikt (Entscheidungskonflikt) versetzt hätte.

Die Patientin hatte vorgetragen, dass sie nicht über alle Risiken, insbesondere die Komplikation der Paravasation aufgeklärt worden sei. Außerdem hätte man ihr sagen müssen, dass in der Praxis nur ungenügende personelle und medikamentöse Versorgungsmöglichkeiten zur Verfügung gestanden hätten. Sie sei dann in eine Fachklinik gegangen, wenn sie das gewusst hätte. Das Landgericht Verden und das Oberlandesgericht Celle hatten diesen Einwand übergangen. Sie hatten ohne Anhörung der Patientin angenommen, dass diese auf jeden Fall in den Eingriff eingewilligt und ihn in der Praxis hätte durchführen lassen. Gleichzeitig hat das OLG Celle die Revision nicht zugelassen. Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin hat der Bundesgerichtshof das Urteil aufgehoben und an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.

„Dieses muss nun „nachsitzen“ und die Klägerin zu ihrem Entscheidungskonflikt persönlich anhören, um sich ein unmittelbares Bild zu machen. Nach der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann ein Gericht die Entscheidung über einen Entscheidungskonflikt grundsätzlich nicht ohne persönliche Anhörung treffen. Insoweit sind die Urteile der beiden ersten Instanzen absolut nicht nachzuvollziehen und stellen eine Verletzung des rechtlichen Gehörs dar, was der BGH dann auch bestätigt hat“, sagt Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Dr. Lovis Wambach.

Den vollständigen Beschluss des Bundesgerichtshof (BGH) können Sie hier herunterladen:

BGH, Beschluss vom 15.09.2015, Az.: VI ZR 418/14 (PDF, 105 KB)

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