Keine Notklingel am Bett der Mutter im Kreißsaal ist ein grober Behandlungsfehler

Das Oberlandesgericht Celle hat eine Entscheidung des Landgerichts Hannover bestätigt, das Schadensersatzansprüche eines schwerstgeschädigten Kindes bestätigt hat. Die Mutter des Kindes bemerkte nach der Geburt, wären sie sich erholte, dass ihr Kind „zu ruhig“ war. Anfangs dachte sie, dass es vielleicht schlafe, dann bemerkte sie, dass es sich gar nicht mehr regte. Sie habe klingeln wollen. Aber es gab keine Klingel an ihrem Bett. Infolge der Geburt habe sie zunächst auch nicht aufstehen können. Deshalb ist der Zustand des Babys der Hebamme erst 15 Minuten später aufgefallen. Trotz unverzüglicher Wiederbelebung und Behandlung hat das Kind eine schwere Hirnschädigung davongetragen. Es verlangt ein hohes Schmerzensgeld und den Ersatz materieller Schäden.

Grober Behandlungsfehler!

Das Landgericht und das Oberlandesgericht haben einen groben Behandlungsfehler (eine schlechterdings unverständliche Standardunterschreitung) bejaht, indem sie die medizinische Äußerung des Sachverständigen auch aus juristischer Sicht als grobe Standardunterschreitung werteten.
 
 
Der gerichtliche Sachverständige sagte: „Für ihn stehe außer Frage, dass jede Mutter auf einer Station im Kreißsaal in ihrem jeweiligen Zimmer und Bett über eine Klingel verfügen müsse. Er halte es schlicht für nicht vertretbar, wenn eine Klingel fehle. Für ihn mache es keinen entscheidenden Unterschied, ob die Klingel fehle oder lediglich in Reichweite einiger Schritte entfernt angebracht sei. Es sei schlicht zwingend, dass eine junge Mutter jederzeit die unbeeinträchtigte Möglichkeit haben muss, sich bemerkbar zu machen.“
Das beklagte Krankenhaus hat die Kausalität angezweifelt, also bestritten, dass die Gesundheitsschäden des Kindes auf der zeitlichen Verzögerung beruhen und vorgetragen, dass auch bei rechtzeitigem Eingreifen das Kind einen Schaden davongetragen hätte.
 
Da es sich aber um einen groben Behandlungsfehler gehandelt hat, ist dieser Einwand unbeachtlich. Es reicht auch aus, wenn der grobe Behandlungsfehler mitursächlich für den Gesundheitsschaden gewesen ist.
 
Der Einwand hätte nur dann Erfolg, wenn des Kind in jedem Fall den gleichen Gesundheitsschaden davongetragen hätte, auch bei sofortigem Eingreifen. Diesen Beweis zu erbringen ist schwer, wenn nicht sogar unmöglich.
Aus einem groben Behandlungsfehler tritt rechtlich nämlich folgendes hervor:
§ 630h Abs. 5 BGB bestimmt: liegt ein grober Behandlungsfehler vor und ist dieser grundsätzlich geeignet, eine Verletzung der Gesundheit der tatsächlich eingetretenen Art herbeizuführen, wird vermutet, dass der Behandlungsfehler für diese Verletzung ursächlich (kausal) war.
 
Der Gewährung von Beweiserleichterungen für den geschädigten Patienten liegt die Erwägung zugrunde, dass das Spektrum der für den Misserfolg der ärztlichen Behandlung in Betracht kommenden Ursachen gerade wegen der elementaren Bedeutung des Fehlers in besonderem Maße verbreitert bzw. verschoben worden ist. Es entspricht deshalb der Billigkeit, die durch den Fehler in das Geschehen hineingetragene Aufklärungserschwernis nicht dem Geschädigten anzulasten.
Nach der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist eine Umkehr der Beweislast schon dann zuzulassen, wenn der grobe Behandlungsfehler geeignet ist, den eingetretenen Schaden zu verursachen; nahe legen oder wahrscheinlich machen muss der Fehler den Schaden dagegen nicht. Nur dann, wenn der die Haftungspflicht begründende Ursachenzusammenhang äußerst unwahrscheinlich ist, wenn sich ein anderes Risiko verwirklicht hat, als dasjenige dessen Nichtbeachtung den Fehler als grob erscheinen lässt oder dann, wenn den Patienten ein Mitverschulden trifft, aufgrund dessen die Beweislage nicht mehr feststellbar ist, ist eine Verlagerung der Beweislast auf den Arzt ausgeschlossen. Für das Vorliegen einer Ausnahme ist die Behandlerseite beweisbelastet. Nach der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und zahlreichen obergerichtlichen Entscheidungen ist die Beweislastumkehr nur dann ausgeschlossen, wenn ein Ursachenzusammenhang im hohen Maße unwahrscheinlich ist, nicht hingegen, wenn dieser unwahrscheinlich aber nicht unmöglich (unmöglich = äußerst unwahrscheinlich) ist.
 
Ein früheres Eingreifen wäre nach den Angaben des Sachverständigen geeignet gewesen, dass der Gesundheitsschaden der Klägerin nicht oder nur in geringerer Ausprägung eingetreten wäre.
 
Im Urteil heißt es absolut nachvollziehbar: „Nach den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. A. in seinem schriftlichen Gutachten wäre, wenn die schleichende postnatale Atemdepression früher bemerkt worden wäre, die hypoxiebedingte Schädigung möglicherweise geringer ausgefallen. In seiner mündlichen Anhörung hat er der allgemeinen Regel zugestimmt, nach der je früher man eingreift, desto höher in der Regel der therapeutische Erfolg ist. Dies könne er für das hier in Rede stehende Ereignis nicht ausschließen. Das bedeute nicht zwingend, dass man die positive Aussage treffen kann, dass sich in jedem Fall etwas gebessert hätte. Nach seiner Einschätzung hätte sich aber mit einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit – also einer, die jenseits der 50 % liegt – „etwas“ gebessert – wobei er dieses „etwas“ nicht näher bestimmen könne. Dies genügt, um eine Geeignetheit i.S.v. § 630h Abs. 5 S. 1 BGB feststellen zu können“.
 
„Die Behandlerseite ist in der Beweislast. Sie muss nachweisen, dass ein Ursachenzusammenhang zwischen Behandlungsfehler und Gesundheitsschaden unmöglich, also äußerst unwahrscheinlich ist. Dieser Beweis ist nicht ausgeschlossen; er wird aber sehr selten gelingen, ist also auch äußerst unwahrscheinlich“, sagt Fachanwalt für Medizinrecht Dr. Lovis Wambach.
 

Das vollständige Urteil des Oberlandesgerichts Celle vom 20. September 2021 – 1 U 32/20 können Sie sich hier herunterladen:

 

Um höchste Schmerzensgelder geht es bei Geburtsschäden.
Auch dazu finden Sie weitere Informationen auf unserer Homepage:

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