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Landgericht Bremen 28.10.2020: Niere statt Milz entfernt – 90.000 Euro Schmerzensgeld!

Verhandlung am 28.10.2020 vor dem Landgericht Bremen

Ich habe heute, am Mittwoch den 28.10.2020, als Prozessbeobachter an der Verhandlung vor dem Landgericht Bremen teilgenommen. Die Verhandlung fand mit Maske statt und zeitweise offenem Fenster. Wenn es Winter wird, kann ein ordentlicher Justizbetrieb gar nicht mehr stattfinden.

1. Der Fall

Über den spektakulären Fall aus Bremen, in dem es um die Verwechslung von Niere und Milz geht, ist schon bundesweit in der Presse berichtet worden. Der Kläger leidet unter Sichelzellenanämie, weswegen die Milz entfernt werden sollte. Den damals 18-jährigen Kläger ist aber statt der Milz versehentlich die Niere entfernt worden. Dies geschah am 05.10.2017, im Februar 2018 wurde sodann die Milz entfernt. Der Kläger hat jetzt psychische Probleme und eingeschränkte körperliche Leistungsfähigkeit.

Die Kammer hat noch kein Sachverständigengutachten eingeholt, um über Vergleichsmöglichkeiten zu sprechen (Güteverhandlung).

2. Der Behandlungsfehler

Die Kammer sieht die Entfernung des falschen Organs als Behandlungsfehler an.
Im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren (der Operateur ist verurteilt worden) ist ein Gutachten eingeholt worden: der Gutachter hat einen groben Behandlungsfehler nahegelegt, auch das Gutachten des medizinischen Dienstes (MDK) legt einen groben Behandlungsfehler oder Verletzung eines voll beherrschbaren Risikos nahe. Beides führt zur Beweiserleichterung für den Patienten.

Auch die Kammer findet derzeit einen groben Behandlungsfehler plausibel. Die Kammer überlegt, ob ein neues fachmedizinisches Gutachten eingeholt wird oder ob das Gutachten aus dem Strafverfahren verwertet wird, wozu die Kammer neigt.

Das Gericht hält die Folgeschäden (die Schäden über die Entfernung der Niere hinaus) für noch nicht ausreichend dargelegt. Auch hier müsste, so die Kammer, eventuell ein Sachverständigengutachten eingeholt werden.

Die Rechtsanwälte verhandelten über den Feststellungsanspruch und schienen sich einig, dass die Haftung für Zukunftsschäden übernommen werden muss.

3. Das Schmerzensgeld

Beim Schmerzensgeld war man sich hingegen nicht einig:

  • Der Kläger stellt sich 325.000 EUR Schmerzensgeld vor,
  • die Beklagten bieten 50.000 EUR.

Hier stellte sich die Frage, wie man zueinanderkommen will.

Der Vorsitzende der Zivilkammer wies auf folgendes hin:

Beim Schmerzensgeld gibt es keine mathematische Genauigkeit. Es obliegt dem Richter, das Schmerzensgeld zu schätzen. Dabei reicht es nicht aus, auf Schmerzensgeldtabellen mit anderen Gerichtsentscheidungen zurückzugreifen. Es kommt immer auf den Einzelfall an. Auch die Geldentwertung spielt eine Rolle.

Die 325.000,00 EUR dürften aber nach Einschätzung des Gerichts zu hoch angesetzt sein. Solche Beträge kämen beim Verlust beider Nieren in Betracht. Ob nun in diesem Einzelfall ein (knapper) sechsstelliger Betrag infrage kommen könnte, ließ das Gericht offen, wollte es aber nicht ausschließen.

4. Der Schmerzensgeldbasar

Der Kläger wollte berücksichtigt wissen, dass ein grober Behandlungsfehler vorliegt. Das Gericht meinte daraufhin zustimmend, dass auch das Ausmaß des Verschuldens berücksichtigt werden muss, dass hier (vorläufig) als hoch eingeschätzt wird.

Der Prozessbevollmächtigte des Klägers nannte als Schmerzgrenze des immateriellen Ersatzes 100.000,00 EUR. Das kam für den Prozessbevollmächtigten des Krankenhausträgers nicht in Betracht.

Das Gericht hob hervor: der Kläger ist jung (21 Jahre) und wird lebenslang belastet sein. Es bezifferte das Schmerzensgeld vorläufig wie folgt:

  • Verlust der Niere 35.000,00 EUR
  • das Ausmaß des Verschuldens 20.000,00 EUR
  • für die Folgeoperation 5.000,00 EUR
  • für die Folgeschäden 10.000,00 EUR

Insgesamt also 70.000,00 EUR, mit materiellen Schäden kämen vorläufig 85.000,00 EUR Betracht.

Die Parteien haben sich sodann beraten.

  • Der Beklagtenvertreter bot 75.000,00 EUR (plus materiellen Schaden = 80.000,00 EUR) an. Der Klägervertreter bot 90.000,00 EUR an.

Der Vorsitzende der Kammer wies darauf hin, dass zu den Folgeschäden noch verschiedene Sachverständigengutachten (internistische Gutachten, psychiatrisches Gutachten) eingeholt werden müssten, was lange Zeit in Anspruch nehmen wird, Kosten verursacht und weitere Gerichtsverhandlungen notwendig macht. Daraufhin gab es nochmals eine Unterbrechung.

Danach einigten sich die Parteien per Vergleich auf 90.000,00 EUR, wobei Zukunftsschäden ausgenommen sind.

5. Meine Einschätzung

Hervorzuheben ist, dass dieser Vergleich ohne die sehr souveräne und emphatische Verhandlungsführung des Vorsitzenden nicht zustande gekommen wäre.

Geld kann Lebensbeeinträchtigungen nicht wirklich ausgleichen, im Rahmen der in Deutschland niedrigen Schmerzensgeldbemessungen ist der Vergleich ein gutes Ergebnis, sagt Rechtsanwalt Dr. Wambach.

6. Exkurs: Schmerzensgelder und Niere – weitere News

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