In diesem Geburtschadensfall ging es um folgende Problematik
Bei der Aufnahme der Mutter in das Krankenhaus drohte eine Frühgeburt. Die Mutter litt unter Schwangerschaftsdiabetes; außerdem traten während der Schwangerschaft wiederholt Nierenbeckenentzündungen auf. Der Entzündungswert (CRP) war erhöht.
Die Mutter wurde über die Möglichkeit einer sectio (Kaiserschnitt) aufgeklärt. Sie entschied sich für eine vaginale Geburt.
Zwei Wochen später kam es zu einem vorzeitigen Blasensprung. Das CTG (Herztonwehenschreiber – Kardiotokograph) zeigte pathologische (krankhafte) Werte. Der Junge wurde per Notkaiserschnitt geboren und trug eine Vielzahl von Schädigungen davon, darunter auch Hirnschädigungen, weswegen er sein gesamtes weiteres Leben als Schwerstpflegefall leben muss, für den Rest seines Lebens auf fremde Hilfe angewiesen sein wird, keine normale Kindheit durchleben kann, keinen Haushalt führen, keine Familie gründen und keinen Beruf ergreifen kann.
Grober Behandlungsfehler bei Geburt?
- Das Landgericht hat einen groben Behandlungsfehler angenommen und der Klage stattgegeben;
- aber das Oberlandesgericht hat die Klage abgewiesen.
Auf die Revision des Klägers (vertreten durch seine Eltern) hat der Bundesgerichtshof den Rechtsstreit an das Oberlandesgericht zurückverwiesen. Er hat dem OLG aufgetragen erneut zu entscheiden und zwar unter Zugrundelegung des von ihm übersehenen Gesichtspunkts, dass eine Schwangere nochmals aufzuklären ist, wenn sich das Nutzen-Risiko-Verhältnis einer Schnittentbindung verändert. Das war hier nach dem Blasensprung der Fall, wie der medizinische Sachverständige ausgeführt hat, da Frühchen bei einem vorzeitigen Blasensprung und dem damit verbundenen Verlust der abfedernden Wirkung des Fruchtwasserkissens der mechanischen Belastung der vaginalen Geburt schutzlos ausgeliefert sind. Diese Ausführungen des Sachverständigen hat das Oberlandesgericht übergangen und damit Aufklärungsfehler verneint. Darin sah der der BGH eine Gehörsverletzung. Es muss nun geklärt werden, ob die unterlassene Aufklärung über die Möglichkeit einer Schnittentbindung zumindest mitursächlich für die Schädigungen des Kindes gewesen ist.
„Da die Entscheidung für die Mutter ‚als natürliche Sachwalterin des Kindes‘ (so sagt es der BGH) außergewöhnlich schwierig ist, gebietet das Selbstbestimmungsrecht eine umfassende Aufklärung über das Für und Wider von vaginaler- und Schnittgeburt“, sagt Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Dr. Lovis Wambach.
Den vollständigen Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 13.09.2016 – VI ZR 239/16 können Sie als PDF (116 KB) hier herunterladen:
BGH, Beschluss vom 13.09.16 – VI ZR 239/16
Zu den Aufklärungspflichten finden Sie hier weitere Informationen:
Zu der Problematik des Geburtsschadensrechts finden Sie hier weitere Ausführungen: