Der Ehemann und Vater von vier Kindern verstarb bei einem Verkehrsunfall (Motorradunfall). Neben der Witwe und den Kindern hinterließ der Verstorbene neben sechs Geschwistern auch noch einen Lieblingsbruder, der den Unfall hautnah miterlebt hatte.
Auch Hinterbliebene können für das seelische Leid entschädigt werden
Nach § 844 Abs. 3 BGB muss derjenige, der einen Behandlungsfehler begangen – oder wie hier – einen Verkehrsunfall verschuldet hat, denjenigen Hinterbliebenen, die zu dem Getöteten in einem besonderen persönlichen Näheverhältnis standen, für das ihnen zugefügte seelische Leid eine angemessene Entschädigung leisten. Dieses Hinterbliebenengeld (auch Angehörigenschmerzensgeld genannt) ist eine neuere Errungenschaft des deutschen Rechts. Der Gesetzgeber hatte sich als Richtschnur einen Betrag in Höhe von 10.000,00 EUR angelegt. Das Gericht wägt die Gesetzesbegründung, die wenigen bislang ergangenen Gerichtsentscheidungen, die Regelungen in anderen europäischen Ländern und auch wissenschaftliche Abhandlungen zum Hinterbliebenengeld gegeneinander ab. Hier geht es durchaus gründlich vor. Das ist zu loben. Es ist keineswegs selbstverständlich, dass sich ein Gericht so viel Mühe gibt.
Hinterbliebene Ehefrau bekommt 12.000,- EUR Schmerzensgeld
Der hinterbliebenen Ehefrau spricht das Gericht 12.000,00 EUR zu, also mehr als den „Regelsatz“. Hierbei lässt es sich von den Erwägungen leiten, dass die Ehefrau in diesem Fall 30 Jahre lang mit ihrem verstorbenen Ehemann verheiratet gewesen ist und ihr durch dessen Tod nicht nur der Lebensgefährte genommen worden ist, sondern sie auch substantielle Einbußen erleidet, da es sich um den Alleinverdiener gehandelt hat. Das Gericht geht damit weit über das von dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin beantragte Schmerzensgeld hinaus. Dieser hatte nur 5.000,00 EUR für die Ehefrau beantragt. Insgesamt musste auch das Gericht feststellen, dass dieser Betrag international im unteren Bereich liegt, in Deutschland hingegen im oberen, beim Hinterbliebenengeld sogar oberstem Rahmen. Das stimmt nachdenklich.
Kinder bekommen 7.500,- EUR Schmerzensgeld
Die Kinder bekommen ein Hinterbliebenengeld in Höhe von 7.500,00 EUR. Das Gericht ließ sich von der Erwägung leiten, dass die Kinder allesamt erwachsen sind, teilweise in einem eigenen Haushalt leben, studieren oder arbeitsuchend gemeldet sind und der Fürsorge des Vaters nicht mehr bedurften.
Näheverhältnis zum Bruder anerkannt, Angehörigenschmerzensgeld vom 5000,- EUR
Dem Bruder hat das Gericht 5.000,00 EUR zugesprochen. Hier bestand schon das Problem, dass das Gesetz bei Geschwistern kein persönliches Näheverhältnis vermutet. Dieses muss der klagende Bruder beweisen. In diesem Fall ist ihm das gelungen. Er hat nachweisen können, dass er in engem Kontakt zu seinem verstorbenen Bruder stand; außerdem war er mit dem verstorbenen gemeinsam mit dem Motorrad unterwegs und musste den Tod seines Bruders an der Unfallstelle miterleben. Geschwister eines Verstorbenen werden in der Gesetzesbegründung ausdrücklich als mögliche Anspruchsberechtigte benannt. Deshalb hat das Gericht hier ein besonderes Näheverhältnis angenommen und den Anspruch für begründet erachtet. Es hat aber gemeint, dass der Schmerzensgeldanspruch niedriger ausfallen muss, als bei den anderen Klägern, dies ergebe sich schon aus der räumlichen Entfernung der Lebensmittelpunkte.
Im internationalen Vergleich gering, aber trotzdem zu loben!
Wenngleich die Beträge für den Verlust eines Menschen im internationalen Vergleich gering ausfallen, ist dieses Urteil zu loben, da es sich Mühe gibt, innerhalb des in Deutschland vorgegebenen Rahmens eine Lösung im oberen Bereich zu suchen.
„Das in Deutschland geltende Gesetz ist jedoch nicht nur wegen der geringen Höhe der Hinterbliebenengeldansprüche zu kritisieren“, sagt Rechtsanwalt und Fachanwalt für Verkehrsrecht Rouven Walter, „der entscheidende Punkt ist folgender: hätte ihr Mann schwerstverletzt überlebt, wäre das Leben der Ehefrau wesentlich stärker beeinträchtigt, als das Leben der Witwe. Zwar würde der materielle Schaden für die Pflege übernommen werden, für die Lebensbeeinträchtigungen, die eine Dauerpflege nach sich zieht, muss aber kein Ersatz geleistet werden.“
Das vollständige Urteil des Landgerichts Tübingen vom 17. Mai 2019 – 3 O 108/18 können Sie hier als PDF-Datei (100 KB) herunterladen: