Unfall zwischen Fußgänger und Auto

Oberlandesgericht Frankfurt, Beschluss vom 08. Juni 2017 – 22 W 3017: Bei einem Verkehrsunfall zwischen einer Fußgängerin und einem Auto kommt ein vollständiges Zurücktreten der Haftung aus Betriebsgefahr nur bei grob fahrlässigem Verhalten der Fußgängerin in Betracht. Eine Feststellungsklage ist auch dann (stets) zulässig, wenn Schadenspositionen schon bezifferbar sind. Die Einschätzung der Schmerzensgeldhöhe im Prozesskostenhilfeverfahren ist nur summarisch möglich, was vom Gericht zugunsten der Verletzten zu berücksichtigen ist

Es handelt sich um eine in mehrfacher Hinsicht interessante Entscheidung (Beschluss) des Beschwerdegerichts (Oberlandesgericht) in einem Prozesskostenhilfeverfahren. Man spürt förmlich, dass das Vordergericht (Landgericht) überhaupt keine Lust auf den Fall hatte, ihn ganz schnell und schlecht durchgeprüft und „abgeplättet“ hat. Das ist bei Prozesskostenhilfeverfahren leider oft der Fall, wie wir aus Erfahrung feststellen müssen. Das Oberlandesgericht hat die Sache dann in die Hand genommen. Unlust, Pfusch oder Blödheit durfte es ja nicht sagen, deshalb führte es wortwörtlich aus: „Dem Landgericht sind mehrere schwerwiegende Fehler unterlaufen, weshalb der Senat über den Umfang der Bewilligung von Prozesskostenhilfe selbst entschieden hat.“

In der Sache ging es schlicht um Folgendes: Eine Fußgängerin ging nachts über die Straße. Die Ampelanlage war nachts ausgeschaltet. Die Fußgängerin wurde von einem Auto erfasst und erlitt Verletzungen. Dafür verlangte sie Schmerzensgeld. Streitig zwischen den Parteien war, ob der Autofahrer gebremst hat, ob er zu schnell gefahren ist. Unklar war auch, ob sich die Fußgängerin unvernünftig und selbstgefährdend verhalten hat. Das Gericht war der Auffassung, dass es darauf nicht entscheidend ankommt, weil den Autofahrer eine Mithaftung aus Betriebsgefahr treffe, die ausschließlich dann nicht zum tragen komme, wenn die Fußgängerin ein grobes Verschulden treffe, wofür der Autofahrer beweispflichtig sei. Das Gericht schätzt den Mitverschuldensanteil auf 50 Prozent und gewährt die Prozesskostenhilfe. Auch auf das Schmerzensgeld gewährte es Prozeßkostenhilfe.

Die Vorstellungen der Fußgängerin hält es für „als am unteren Rand des Angemessenen angesiedelt.“ Interessant ist in diesem Zusammenhang dann folgende Überlegung: Angesichts der bloß summarischen Prüfung im Prozesskostenhilfeverfahren ist es regelmäßig angemessen, Prozesskostenhilfe auch für eine auf den ersten Blick überhöhte Schmerzensgeldforderung zu bewilligen, wenn sich diese in einem vertretbaren Rahmen bis hin zum doppelten des vom Gericht für angemessen erachteten Betrags bewegt. Die endgültige Festlegung kann nämlich in der Regel erst im Hauptsacheverfahren erfolgen.

Eine dicke Klatsche bekommt das Landgericht für seine Meinung, dass die Fußgängerin kein Interesse an der Feststellung vergangener und zukünftiger Schäden hat, weil sie einige der in der Vergangenheit liegende Schäden schon hätte beziffern (berechnen) können: Entgegen der Ansicht des Landgerichts besteht gerade nicht die Notwendigkeit, bezifferungsfähige Schadenspositionen während eines Verfahrens zu beziffern. Dies ist ganz herrschende Auffassung! Tatsächlich ist es darüber hinaus schon unmissverständliche und ständige höchstrichterliche Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass auch solche Schadenspositionen, die bereits vor Beginn eines Verfahrens bezifferbar waren, vom Feststellungsantrag umfasst sein können, ohne dass das Feststellungsinteresse entfallen würde. Das ist arger Rüffel. Damit ist gemeint, dass die Auffassung des Landgerichts schon fast böswillig absurd ist, weil ein einziger Blick in ein Buch oder einen Kommentar genügt hätte, um die in Deutschland absolut herrschende und auch von Deutschlands höchsten Zivilgericht, dem Bundesgerichtshof, vertretene Auffassung festzustellen und danach zu urteilen. Nicht einmal dafür hat es in diesem Prozesskostenhilfeverfahren gereicht. Das ist wirklich verdrießlich.

„Der Fall zeigt, dass es sinnvoll sein kann, nach der ersten Instanz nicht einfach aufzugeben. Das Oberlandesgericht hat den Fall ja dann noch zurechtgerückt und die treffenden Worte gefunden“, sagt Rechtsanwalt und Fachanwalt für Verkehrsrecht Rouven Walter.

Den vollständigen Beschluss des Oberlandesgerichts Frankfurt vom 08. Juni 2017 – 22 W 3017 können Sie hier als PDF (88 KB) herunterladen:

OLG Frankfurt, Beschluss vom 08. Juni 2017 – 22 W 3017

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