Gesundheitliche Folgeschäden und Schätzung der materiellen Schäden (Erwerbsschaden, Haushaltsführungsschaden) nach einem groben Behandlungsfehler (Bauch-Operation)
“Wir möchten auf einen vom Oberlandesgericht Köln in einer Arzthaftpflichtsache entschiedenen Fall hinweisen. Das Urteil des OLG Köln vom 14.08.2013, Az.: 5 U 232/11. Das Urteil zeigt exemplarisch die Schwierigkeiten der Schadensberechnung bei Personenschadensfällen auf; gleichzeitig wird das Expertenwissen, nämlich die juristisch kunstgerechte Berechnung dieser Schäden (Erwerbsschaden und Haushaltsführungsschaden) vorgeführt”, sagt Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Dr. Lovis Wambach.
Das Urteil können Sie am Ende dieser Besprechung als PDF herunterladen.
Die Haftung dem Grunde nach stand nach der ersten Instanz fest, das heißt: Das Verfahren ist in der Berufungsinstanz nicht weitergeführt worden, weil sich Patientin und Krankenhaus darum gestritten hätten, ob die medizinische Behandlung den Facharztstandards entsprochen hat oder nicht (Arzthaftung). Der Behandlungsfehler stand fest. Der operierende Arzt durchtrennte mit grobem Verstoß wider die fachärztlichen Standards den Gallengang. Dieser musste rekonstruiert werden. Die Patientin entwickelte als Folge der Operation immer wiederkehrende Entzündungen der Gallenwege mit erheblichen Oberbauchbeschwerden, die zwölf Jahre lang andauerten. Gestritten haben sich die Parteien in der zweiten Instanz ausschließlich um den Ausgleich materieller Schäden, also darum, was der Ausfall der Arbeitskraft im Beruf (Erwerbsschaden) wert ist und wie viel für den Ausfall der Arbeitskraft im Haushalt (Haushaltsführungsschaden) gezahlt werden muss. Die Patientin arbeitete nach der Fehlbehandlung zunächst noch, dann erhielt sie Arbeitslosengeld, dann Arbeitslosenhilfe, sodann Hilfe zum Lebensunterhalt (Hartz IV), schließlich fiel sie in die Erwerbsunfähigkeitsrente bis zu einer Besserung der Beschwerden nach zwölf Jahren.
Erwerbsschaden
Die Geschädigte gab vor Gericht an, dass geplant war, wenn die Kinder weiter herangewachsen wären, sie Vollzeit gearbeitet haben würde, damit sich die Familie vom Familieneinkommen ein Haus kaufen könne. Die Klinik hat das natürlich bestritten.
Zutreffend hat das Gericht ausgeführt, dass eine Prognoseentscheidung zu treffen ist, wenn ein Geschädigter durch die Schädigung (Behandlungsfehler oder Unfall) an der beruflichen Entwicklung oder der Berufsausübung gehindert ist. Die Prognose muss darüber getroffen werden, wie sich die berufliche Entwicklung des Geschädigten ohne Ärztepfusch oder Verkehrsunfall entwickelt hätte.
Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH, Urteil vom 06.06..2000, Az.: VI ZR 172/99) gilt:
„Bei der Beurteilung der voraussichtlichen beruflichen Entwicklung eines Geschädigten ohne das Schadensereignis gebietet § 252 BGB eine Prognose entsprechend dem gewöhnlichen Lauf der Dinge bzw. nach den besonderen Umständen, insbesondere auf der Grundlage dessen, was zur Ausbildung und zur bisherigen beruflichen Situation des Betroffenen festgestellt werden kann. Zwar ist es hierbei Sache des Geschädigten, möglichst konkrete Anhaltspunkte und Anknüpfungstatsachen für diese Prognose darzulegen. Die insoweit zu stellenden Anforderungen dürfen indes nicht überspannt werden.“
Das Gericht hat unter Berücksichtigung dieser Rechtsprechung den vorgetragenen Plan für teilweise plausibel gehalten. Es hat angenommen, dass die Pläne eines Hauskaufes nicht schon dann hätten verwirklicht werden können, wenn das erste Kind weiter herangewachsen wäre, wohl aber dann, wenn auch das zweite Kind keiner umfassenden Betreuung mehr bedurft hätte.
Es ist dann bei der Höhe des Einkommens zusätzlich von einer jährlichen Einkommenssteigerung in Höhe von zwei Prozent ausgegangen.
Entgangen ist der Geschädigten ein Betrag von 81.401,76 Euro. Davon waren aber jegliche Sozialleistungen abzuziehen, so dass ein Betrag in Höhe von 45.034, 66 Euro übrig blieb.
Haushaltsführungsschaden
Die Patientin musste einen Vier-Personen-Haushalt in einer 75 Quadratmeter großen Wohnung versorgen (zwei Erwachsene, zwei Kinder). In der Zeit nach der Fehlbehandlung musste sich die Patientin immer wieder hinlegen und war außer Stande den Haushalt zu versorgen, weil sie immerzu auf dem Sofa gelegen und geweint habe, wie die Zeugen vor Gericht bestätigt hatten. Das Gericht hat den für diese Tatsachen benannten Zeugen geglaubt und den Haushaltsführungsschaden der Ehefrau auf 86 Prozent geschätzt, da sie vermutlich in der Lage gewesen sei, noch Kleinigkeiten zu erledigen. Die Höhe des auszugleichenden Stundensatzes hat das Gericht mit einem Durchschnittswert von 9,50 Euro per Stunde geschätzt. Das ist nicht hoch, läppert sich aber über die Jahre auf 97.943,63 Euro.
(Schmerzensgeld)
Leider ist aus dem Urteil nicht ersichtlich in welchem Umfang das Landgericht Köln in der ersten Instanz Schmerzensgeld als Ausgleich für die zwölf Jahre andauernde Lebensbeeinträchtigung zugesprochen hat. Vermutlich war der Schmerzensgeldbetrag zufriedenstellend, denn der Ausgleich des immateriellen Schadens ist ja mit der Berufung nicht angegriffen worden, sondern nur derjenige des materiellen Schadens.
In ähnlich gelagerten Fällen haben Gerichte folgende Schmerzensgeldbeträge ausgeurteilt:
OLG Brandenburg an der Havel vom 10.03.1999 (1 U 54/98) = 30.000 DM
LG Bonn vom 04.12.1995 (9 O 595/94) = 30.000 DM
OLG Hamm vom 15.03.2000 (3 U 1/99) = 70.000 DM
Es handelt sich um ältere Urteile. Die ausgeurteilten Beträge müssen an die Geldentwertung angepasst werden (Indexanpassung). Inflationsbereinigt ergeben sich folgende Beträge:
Oberlandesgericht Brandenburg: 20.000,- Euro
Landgericht Bonn: 21.000,- Euro
Oberlandesgericht Hamm: 45.000,- Euro
Diese Beträge sind jedoch nur Anhaltspunkte. In Wahrheit sind diese Fälle, wie man sie auch in den sogenannten Schmerzensgeldtabellen findet, nie komplett vergleichbar und deshalb bestenfalls Anhaltspunkte. Das Oberlandesgericht München stellt deshalb zu Recht fest, das Vergleichsfälle anderer Gerichte eine Orientierungshilfe sein können, die jedoch keine Verbindlichkeit haben können. Deshalb können aus der Existenz bestimmter ausgeurteilter Schmerzensgeldbeträge keine unmittelbaren Folgerungen abgeleitet werden. Verweise auf solche Vergleichsfälle ohne umfassende Herausarbeitung der Fallähnlichkeit, die neben den Verletzungen weitere elf Parameter, nämlich Geschlecht, Alter, Beruf, Vorschädigung, Empfindlichkeit, Einkommen und Vermögensverhältnisse des Geschädigten, sowie Verschulden, Einkommen, Vermögensverhältnisse und Versicherung des Schädigers zu berücksichtigen hat, sind nicht weiterführend (OLG München vom 11.04.2014, Az.: 10 U 4757).
Das Kammergericht Berlin hat mit Urteil vom 16.02.2012 (Az.: 20 U 157/10) entscheiden, dass Präjudize in Personenschadensfällen nicht geeignet sein können, die Höhe des Schmerzensgeldes zu bestimmen. Das Gericht führte zutreffend aus:
„Im Übrigen sieht der Senat davon ab, auf weitere Entscheidungen und die Entscheidungen, welche die Klägerin zur Unterstützung ihres Begehrens genannt hat, einzugehen, denn die Höhe des auszusprechenden Schmerzensgeldes bemisst sich ausschließlich nach den konkreten Umständen des Einzelfalls.
Entscheidungen in vergleichbaren Fällen, wie sie insbesondere in Form von Schmerzensgeldtabellen veröffentlicht werden, können im Vorfeld der Entscheidungsfindung nur als grobe Orientierungshilfe herangezogen werden. Sie können jedoch nicht als Grundlage der Schmerzensgeldbemessung dienen. Es ist nicht Aufgabe des Gerichts, neben der Beurteilung der konkreten Umstände des zu entscheidenden Rechtsstreits auch noch Urteile anderer Gerichte – und das ohne Aktenkenntnis – nachzuprüfen.“
Das Urteil können Sie hier als PDF herunterladen: