KG, Beschluss vom 29.03.2017 – 20 U 147/16: Die Grundsätze des Beweislastumkehr aufgrund eines groben Behandlungsfehlers in der Arzthaftung sind auf die Tätigkeit einer Rettungsdienstleitstelle anwendbar, mehr
In zwei Beschlüssen, nämlich einem Hinweisbeschluss zur offensichtlichen Aussichtslosigkeit der Berufung gegen das Urteil des Landgerichts und dem dann zurückweisenden (ausführenden) Beschluss hat das Kammergericht Berlin (so heißt dort das Oberlandesgericht) die Berufung verworfen.
Der Sachverhalt war Folgender: Geklagt hatten Kranken- und Pflegeversicherung im Regresswege auf Schadensersatz gegen die Rettungsdienstleistelle für einen im Laufe des Prozesses verstorbenen, schwerstgeschädigten Patienten. Dieser hatte einen Asthmaanfall erlitten, so schwer, dass er nicht mehr selber telefonieren konnte „keinen Ton mehr richtig herausbrachte“, jedenfalls rief ein Dritter für ihn bei der Leitstelle an und schilderte die „Atembeschwerden des Asthmapatienten.
Die Leistelle entsandte einen Rettungswagen (RTW), nicht aber gleichzeitig einen Notarztwagen (NAW). Der Patient befand sich in einem lebensbedrohlichen Zustand und war nicht nur auf die Hilfe der Rettungssanitäter angewiesen, sondern benötigte vielmehr die Hilfe eines Arztes. Dieser kam dann erst zehn Minuten später.
Dieser Fehler durfte der Leitstelle auf keinen Fall unterlaufen, war also als grob einzustufen. Im Arzthaftungsrecht führt ein grober Fehler, also ein Behandlungsfehler, der einem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen darf, zu einer umkehr der Beweislast. Nicht der Patient muss dann beweisen, dass seine Gesundheitsschäden auf dem Behandlungsfehler beruhen, sondern der Arzt muss beweisen, dass sie gerade nicht auf seinem Fehler beruhen.
Das Kammergericht wendet diese Grundsätze auf die Rettungsdienstleitstelle an, weil der Sachverständige nicht ausschließen konnte, dass die dem Patienten entstandenen schwerwiegenden Gesundheitsbeeinträchtigungen nicht entstanden wären, wenn die Notärztin sogleich und nicht zehn Minuten später eingetroffen wäre.
Wörtlich führt das Gericht aus: „Die Grundsätze der Beweislastumkehr sind auch auf den hier vorliegenden Sachverhalt anwendbar. Die Anspruchsgrundlage (Amtshaftung statt Behandlungsvertrag oder Delikt) ist hierfür unergiebig. In allen Fällen einer ärztlichen Behandlung ist eine Beweislastumkehr aufgrund eines groben Behandlungsfehlers angezeigt. Es macht aus der Sicht des Patienten keinen Unterschied, auf welcher rechtlichen Grundlage er behandelt (oder wie hier: nicht behandelt) wurde.“
„Eine Umkehr der Beweislast ist schon dann zuzulassen, wenn der grobe Behandlungsfehler geeignet ist, den eingetretenen Schaden zu verursachen; nahelegen oder wahrscheinlich machen muss der Fehler den Schaden nicht.“ sagt Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Dr. Lovis Wambach.
Die vollständigen Beschlüsse des Kammergerichts können Sie hier als PDF (96 und 60 KB) herunterladen:
Kammergericht (KG) Berlin, Beschluss vom 20. März 2017 – 20 U 147/16
Kammergericht (KG) Berlin, Beschluss vom 19. Juni 2017 – 20 U 147/16