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Aufklärung vor OP: ist die Bezeichnung „vereinzelte Zwischenfälle“ bei 20 Prozent Häufigkeit ok?

Wird ein Risiko, das in 20 Prozent der Fälle auftritt, als „vereinzelt“ bezeichnet, genügt dies für eine ordnungsgemäße Aufklärung und stellt keine Verharmlosung dar

Nach Bruch bildete sich ein Falschgelenk (Pseudarthrose)

Der Kläger rutschte aus und brach sich den Oberarm. Dieser musste im Krankenhaus operiert werden. Das Ergebnis der Operation war für den Kläger äußerst unbefriedigend, da sich ein Falschgelenk gebildet hat. Dabei vereinigen sich die Frakturenden nicht (Pseudarthrose). Das führt zu Bewegungs- und Funktionseinschränkungen und dauerhaften Schmerzen. Da Behandlungsfehler nicht festgestellt werden konnten, war der Kläger zur Durchsetzung seiner Ansprüche auf Schmerzensgeld und Schadensersatz auf die von ihm gleichzeitig vorgebrachte Rüge der nicht ordnungsgemäßen Aufklärung angewiesen.

Pseudarthrose – Risiko 20%

Unter Zugrundelegung der Verletzung und der Operationsart trifft das Risiko der Pseudoarthrose etwa 20 Prozent der Patienten.

Im Aufklärungsbogen hieß es wörtlich: „Trotz größter Sorgfalt können bei und nach der geplanten Operation vereinzelt Zwischenfälle auftreten, die u. U. weitere Behandlungsmaßnahmen erfordern und die in Ausnahmefällen auch im Verlauf lebensbedrohlich sein können. Zu nennen sind: […] Bildung eines Falschgelenks (Pseudarthrose), wenn sich der Heilungsverlauf verzögert und nicht genügend neue Knochensubstanz gebildet wird (…).“

Das Gericht hat diese Aufklärung als ordnungsgemäß gewürdigt

Das Gericht ist der Meinung, dass man nach dem allgemeinen Sprachgebrauch ein in etwa in jedem fünften Fall eintretendes Risiko durchaus noch als „vereinzelt“ bezeichnen könne. Es führte wörtlich aus: „Nach dem allgemeinen Sprachgebrauch hat das Wort ‘vereinzelt’ die Bedeutung von ‘einzeln, nur in sehr geringer Zahl vorkommend, selten, sporadisch’ (vgl. etwa Duden, Das große Wörterbuch der deutschen Sprache in zehn Bänden, Band 9, 1999, S. 4201). ‘Vereinzelt’ bezeichnet mithin eine gewisse Häufigkeit, die zumindest kleiner als ‘häufig’ ist.“

Zweifelhaftes Ergebnis!

Es ist richtig, dass zur Auslegung dieses Passus der allgemeine Sprachgebrauch herangezogen wird. Zweifelhaft ist aber das Ergebnis. Der Duden spricht von einer sehr geringen Zahl, nicht nur von einer geringen Zahl. Es ist außerordentlich zweifelhaft, dass das Gericht den allgemeinen Sprachgebrauch aus dem Duden-Artikel korrekt herausgelesen hat.

In Deutschland leben zurzeit etwa 81.479.915 Menschen. Würde die Presse titeln: „trotz Lockerungen in der Corona Pandemie sterben in Deutschland vereinzelt Menschen“, stellt sich dann der durchschnittliche Zeitungsleser vor, dass es sich um 16.295.983 Menschen (=20% von 81.479.915 ) handelt? Mehr als in ganz Bayern (13.076.721) wohnen? Außerdem würde noch Bremen und Bremerhaven (682.986) ausgelöscht, Hamburg (1.841.179) und fast die Hälfte von Mecklenburg-Vorpommern (1.609.675).

Es ist in jedem Fall für die Entscheidung des Patienten ein großer Unterschied, ob bei einer Operation einer von Hundert stirbt oder einer von Fünfen.

„Dieser Fall zeigt, dass es sehr wichtig ist, im Aufklärungsgespräch Fragen zu stellen, etwa: wie oft kommt die Komplikation genau vor, die mit vereinzelt bezeichnet wird?“, sagt Patientenanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Dr. Lovis Wambach.

 

Das vollständige Urteil des Oberlandesgerichts Frankfurt vom 26.2.2019 – 8 U 219 /16 können Sie hier als PDF-Datei (KB) herunterladen:

OLG Frankfurt, Urteil vom 26.2.2019 – 8 U 219 /16

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