Erwerbsschaden richtig berechnen!
- Sie sind Opfer eines ärztlichen Behandlungsfehlers oder wurden bei einem Verkehrsunfall verletzt?
- Dann entsteht häufig der sog. Erwerbsschaden für Angestellte bzw. Selbstständige.
- Aber was genau ist der Erwerbsschaden und wie wird der Verdienstausfall genau berechnet?
Das alles erklären wir für Angestellte und Selbstständige in unserem YouTube-Erklärvideo.
Erwerbsschaden (Verdienstausfallschaden)
Wird durch Unfall oder Behandlungsfehler der Geschädigte zeitweise oder für immer aus dem Beruf geworfen, muss dieser Schaden ersetzt werden. Das klingt zunächst relativ einfach: Man rechnet die verbleibenden Einkünfte (Rente, Sozialleistungen etc.) bis zum Erreichen des Rentenalters gegen die zu erwartenden Verdienste. Hier kann auch ein Schaden durch die Verkürzung der Rente entstehen.
Die Leistungen aus einer privaten Unfallversicherung oder einer Berufsunfähigkeitszusatzversicherung werden nicht angerechnet, weil es sich bei diesen Versicherungen um so genannte Summenversicherungen handelt, die vollkommen anrechnungsfrei bleiben. Die Schädiger würden ansonsten bevorteilt, wenn geschädigte Personen zur eigenen Absicherung in freiwillige Versicherungen einzahlen und ihnen dieser Vorteil genommen würde.
So weit so gut. Damit ist es aber nicht getan. Das Hauptproblem ist: Es muss eine Prognose getroffen werden, wie sich die Erwerbsbiographie entwickelt hätte. Wäre der Geschädigte befördert worden, hätte er sich einen anderen Arbeitsplatz gesucht? Fragen, die schwer zu beantworten sind. Wie fällt die Prognose aus, wenn der Geschädigte zum Zeitpunkt des Schadensereignisses erwerbslos ist? Wie verläuft die Erwerbsbiographie von Müttern? Gibt es Anhaltspunkte dafür, wann und wie (Arbeitszeit) diese in den Beruf zurückgefunden hätten?
Den Nachweis des Schadens muss der Geschädigte erbringen; er muss greifbare Anhaltspunkte für die Schätzung (etwas anderes ist ja gar nicht möglich) des Schadens liefern. Das ist der Knackpunkt, besonders bei Selbständigen.
Erwerbsschaden – Zukunftsprognose
Wenn Kinder oder Babys geschädigt sind, wird es noch komplizierter.
Mangels aktueller Erwerbstätigkeit erleiden Kinder keinen Verdienstausfallschaden. Sie sind jedoch unter Umständen um ihre Zukunftschancen gebracht worden. Ihr Erwerbsschaden ist also ein Fortkommensschaden, der sehr schwer zu schätzen ist. Diese Schwierigkeiten verhalten sich umgekehrt proportional zum Alter des Verletzten; je jünger das Opfer, desto unsicherer muss die Schadensschätzung sein.
Diese Schwierigkeiten einer zuverlässigen Prognose dürfen dem verletzten Kind nicht angelastet werden, sondern der Verdienstausfallschaden ist so gut es geht anhand der bereits vorhandenen Ansätze für eine bestimmte schulische und berufliche Entwicklung sowie mit Rücksicht auf Durchschnittswerte zu schätzen. Parameter sind schulischen Leistungen, sonstige Begabungen und Fähigkeiten des Kindes. Wenn man aus diesen nichts folgern kann, muss auf die schulische und berufliche Entwicklung von Geschwistern, auf die berufliche Tätigkeit der Eltern und in letzter Linie auf das Durchschnittseinkommen von Kindern einer Familie aus vergleichbarem gesellschaftlichem Umfeld zurückgegriffen werden. Lässt sich anhand der Umstände weder auf eine besonders glänzende noch auf eine besonders enttäuschende berufliche Laufbahn schließen, ist von einer durchschnittlich erfolgreichen Karriere mittlerer Art und Güte auszugehen.
Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gilt: „Bei einem jüngeren Menschen kann ohne konkrete Anhaltspunkte nicht angenommen werden, dass er auf Dauer die ihm zu Gebote stehenden Möglichkeiten für eine gewinnbringende Erwerbstätigkeit nicht nutzen werde.“
Trifft das Schadensereignis ein jüngeres Kind oder ein Baby, über dessen berufliche Zukunft auf Grund des eigenen Entwicklungsstands zum Schadenszeitpunkt noch keine „zuverlässige“ Aussage möglich ist, darf es dem Geschädigten nicht zum Nachteil gereichen, dass die Beurteilung des hypothetischen Verlaufs mit nicht zu beseitigenden erheblichen Unsicherheiten behaftet ist. Denn es liegt in der Verantwortlichkeit der Schädiger, dass die Geschädigten in einem sehr frühen Zeitpunkt ihrer Entwicklung aus der Bahn geworfen wurden und dass sich daraus die besondere Schwierigkeit ergibt, eine Prognose über deren Verlauf anzustellen. Die Unsicherheit möglicher Prognosen befreit ein Gericht nicht davon, sie treffen zu müssen.
Der Bundesgerichtshof hat in diesem Zusammenhang in einem seiner höchstrichterlichen Urteile (BGH, Urteil v. 06.06.2000 – VI ZR 172/99) einmal sehr zutreffend festgestellt:
Bei einem jüngeren Menschen kann ohne konkrete Anhaltspunkte nicht angenommen werden, dass er auf Dauer die ihm zu Gebote stehenden Möglichkeiten für eine gewinnbringende Erwerbstätigkeit nicht nutzen werde.
Diese Leseart der Prognose auch von den übrigen Zivilgerichten berücksichtigt werden.
Die Feststellung, welche geistigen und körperlichen Fähigkeiten des Geschädigten der Prognose zu Grunde gelegt werden können, wird in der Regel nicht ohne sachverständigen Rat (Sachverständigengutachten) entschieden werden können. Wenn man es hier nicht schafft, sich außergerichtlich zu einigen, kann ein Gerichtsverfahren kostspielig und langwierig werden. Meist werden schon ein oder mehrere Sachverständige benötigt, um einen Behandlungsfehler festzustellen; dann muss zusätzlich Beweis erhoben werden über die entgangenen beruflichen Zukunftschancen.
Verminderte oder verlorene Arbeitskraft
Ist durch die Gesundheitsbeeinträchtigung die Arbeitskraft des Geschädigten vermindert oder ganz verloren, dann muss auch dieser Schaden ersetzt werden. Das gilt für Arbeitnehmer, Beamte und Selbständige gleichermaßen.
Bei einem langfristigen Ausfall der Arbeitskraft stellt sich das Problem der Prognose des beruflichen Fortkommens (etwa Beförderungen) und der Entwicklung des Einkommens (Verdienstprognose, künftiges Lohnniveau).
Der Schädiger (meist dessen Versicherung) muss dem Geschädigten bis zum 65. oder 67. Lebensjahr den Ausfall der Arbeitskraft ersetzen. Leistungen aus einer Berufsunfähigkeitsversicherung, Unfallversicherung oder Krankentagegeldversicherung werden dabei nicht angerechnet, weil es sich um private Vorsorge handelt, die der Geschädigte ja auch selbst finanziert hat.
Der Geschädigte muss das gleiche auf seinem Konto haben, wie es ohne Unfall oder Behandlungsfehler der Fall gewesen wäre. Mit einer Berufsunfähigkeitsversicherung oder Unfallversicherung ist es dann sogar mehr als vorher.
Besonders problematisch und auch schwierig ist die Prognose des Erwerbschadens für
- Verletzte, die noch gar keinen Beruf haben,
- Babys (Geburtschäden),
- Kinder (Autounfälle) oder
- Jugendliche (Behandlungsfehler) und
- Geschädigte, die sich in der Ausbildung befinden, etwa am Beginn eines Studium. Hier müssen dann als „Prognosehelfer“ die Eltern oder Geschwister herhalten und deren Qualifikationen.
Auch Schulnoten können durchaus eine Rolle spielen. Der Bundesgerichtshof hat bei einer schwerstgeschädigten Zehnjährigen aufgrund der Erleichterung der Darlegung in den Fällen junger Geschädigter alleine die Tatsache genügen lassen, dass diese wenige Tage vor dem Unfall in die fünfte Klasse des Gymnasiums aufgenommen worden war, um anzunehmen, dass diese auf Dauer später ein überdurchschnittliches Einkommen erzielt hätte.
Im Zweifel muss zugunsten der Geschädigten entschieden werden, um dem Schädiger keinen Vorteil zukommen zu lassen wegen der Schwierigkeit der Prognose. Denn es liegt ja gerade in der Verantwortlichkeit des Schädigers, dass der Geschädigte zu einem so frühen Zeitpunkt aus der Bahn geworfen worden ist. Zudem ist das Schadenereignis selbst die Ursache für die Aufklärungsprobleme hinsichtlich des Schadenumfanges.