Der Behandlungsfehler:
Die Konstellation dieses Geburtsschadensfalls ist ungewöhnlich. Die Schädigung fand nicht in einem Krankenhaus statt, sondern verantwortlich war ein niedergelassener Frauenarzt.
Der Kläger befand sich zum Zeitpunkt der Behandlungsfehler (die News stellt nur den groben Behandlungsfehler dar) in seiner Mutter, diese hatte am Ende der Schwangerschaft bei ihrem Gynäkologen einen Termin. Dort wurde ein CTG (Herzton-Wehen-Schreiber) abgenommen. Das CTG war pathologisch (krankhaft). Trotzdem riet der Gynäkologe der Mutter des Klägers nach Hause zu gehen, das Nötigste („Köfferchen“) zusammen zu packen und sich sodann in das Krankenhaus zu begeben. Das war falsch. Der Rat gemäß den medizinischen Facharztstandards wäre gewesen, die Mutter sofort – notfalls per Rettungswagen – in ein Perinatalzentrum (spezialisierte Fachklinik für Geburten) zu verbringen und ihr auch klarzumachen, dass „Holland in Not“ ist.
Aufgrund der Zeitverzögerung und der daraus resultierenden Sauerstoffunterversorgung ist der Kläger schwerstbehindert geboren worden.
Die Schmerzensgeldbemessung:
Der Kläger hat aufgrund seiner schwersten Gehirnschädigungen extreme intellektuelle Einbußen. Mit welcher Intensität er seine Umwelt wahrnimmt, hat das Gericht nicht zufriedenstellend aufgeklärt. Der Umfang der Zerstörung der Persönlichkeit des Klägers ist im Dunkeln geblieben. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist aber gerade dieser Punkt wesentlich, da die Zerstörung der Persönlichkeit eine eigene Fallgruppe innerhalb der Schmerzensgeldbemessung darstellt.
Der Kläger kann ein klein wenig laufen, er kann mithilfe Dritter auch essen (keine Sondenernährung), er ist auch nicht blind. Er besucht eine Förderschule, in der aber nicht unterrichtet, sondern nur gepflegt wird.
Soweit das Gericht ausführt, dass der Kläger noch eingeschränkt am Leben teilnehmen könne und deshalb ein höheres Schmerzensgeld als 400.000 € nicht gerechtfertigt sei, ist dem nicht zuzustimmen.
Als der Kläger neun Jahre alt war, starb seine Mutter. Der Vater konnte wegen seiner beruflichen Verpflichtungen eine so intensive Betreuung, wie sie für den Kläger notwendig ist, nicht erbringen. Deshalb muss der Kläger in einem Heim leben und hat weder Mutter noch Vater. Ohne die schwere Schädigung hätte er beim Vater verbleiben können. Zur Zeit der Urteilsverkündung war der Kläger zehn Jahre alt. Ein heute zehnjähriger hat nach der Sterbetabelle statistisch noch 68,7 Jahre zu leben. Das sind 25.075 Tage. Was ist es Wert, mit all den zusätzlichen grausamen Beeinträchtigungen einen Tag in einem Heim zu verbringen, ohne elterliche Fürsorge.
Gemäß der maßgeblichen Rechtsprechung des Landgerichts Frankfurt bekommt man für einen verdorbenen Tag Urlaub pauschal 72,- €. Der immaterielle Ersatz für verdorbene Urlaubsfreude fällt unter die Rubrik des Schmerzensgeldes. Mit dem Reisepreis hat das nichts zu tun. Es ist gleichfalls ein immaterieller Ersatz. Rechnet man hier auf den Tag um, dann kommt man auf 1.805.400,- Euro.
Richtig ist natürlich, dass sich der Vater nicht bis zum Lebensende seines Sohnes um ihn hätte kümmern können, da er vorher verstorben wäre. Nehmen wir aber einfach an, er hätte dies 40 Jahre lang tun können, dann wären dies 14.600 Tage und damit 1.051.200 €. Die Berechnungsmethode ist unkonventionell und etwas verwegen, das Ergebnis ist aber nicht übertrieben. Unseres Erachtens wäre bei der schon herkömmlichen Schmerzensgeldbemessung, die sich vornehmlich nach der Schwere der Lebensbeeinträchtigungen bemisst, ein Schmerzensgeld zwischen 600.000 und 800.000 € angebracht.
Der entscheidende Punkt ist, was man eigentlich als gravierender ansieht: das Gericht ist der Meinung, dass die künstlich ernährten und insgesamt bewegungsunfähigen Geschädigten größere Lebensbeeinträchtigungen erleiden, als diejenigen, die noch ganz eingeschränkt am Leben teilhaben können. Das kann nur insoweit richtig sein, soweit sie ihre Situation intellektuell erfassen. Ansonsten ist das außerordentlich fraglich.
„Gerichte haben allerdings bei der Bemessung der Höhe des Schmerzensgeldes einen beträchtlichen Spielraum“, sagt Patientenanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Dr. Lovis Wambach, „der Bundesgerichtshof hat die Nichtzulassungsbeschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision durch das Oberlandesgericht zurückgewiesen. Eine Erhöhung des Schmerzensgeldes ist jetzt nicht mehr möglich, da das Urteil durch die Zurückweisung rechtskräftig ist.“