Das Oberlandesgericht Düsseldorf hatte folgenden Fall zu entscheiden:
der Ehemann der Geschädigten wurde von einem Pkw überrollt und starb. Sie erkrankte daraufhin psychisch. Während der jahrelangen Behandlung erhielt sie vom Gericht einen geringen Schmerzensgeldbetrag in Höhe von 5000 € zugesprochen. Sodann stellte sich im Laufe weiterer Jahre heraus, dass sich die Störung chronifiziert hatte. Außerdem kamen Selbstmordgedanken hinzu.
Sie klagte erneut und forderte wegen der qualvolleren Lebensbeeinträchtigungen ein weiteres, höheres Schmerzensgeld (30.000,- Euro) vor Gericht ein. Die Klage ist in beiden Instanzen abgewiesen worden, da die Rechtskraft des ersten Schmerzensgeldurteils dem entgegenstand. Die Klägerin hätte bei dem ersten Gerichtsprozess ihre Schmerzensgeldforderung als Teilklage offen kenntlich machen müssen.
Daran sieht man Schmerzensgeldklagen können sehr schwierig sein, wenn nicht feststeht, ob sich der Schaden im Laufe des Lebens wesentlich verschlimmert. Schmerzensgeld kann normalerweise dann nicht nachgefordert werden, weil es in der Regel unter Zugrundelegung der zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vorliegenden Schädigungen bemessen wird. Der Grundsatz der Einheitlichkeit des Schmerzensgeldes führt dazu, dass auch zu erwartende zukünftige Schäden in das Schmerzensgeld eingepreist werden, dies ungeachtet der prozentualen Wahrscheinlichkeit (also: auch bei nur geringer, nicht überwiegender Wahrscheinlichkeit) ist die Schadenfolge von der Vollklage erfasst und kann dann später nicht mehr nachgefordert werden.
Ein Beispiel: Behandlungsfehler der Schulter
Durch einen Behandlungsfehler ist eine Schulter geschädigt. Der fehlbehandelte Patient hat zwar Einschränkungen, aber beispielsweise keinen Dauerschmerz. Würde man vor Gericht dafür ein Schmerzensgeld einklagen, bekäme man mit etwas Glück 30.000 €. Was passiert aber, wenn sich der Schaden verschlimmert und das Gelenk ausgetauscht oder versteift werden muss? Bei einer Versteifung oder einem künstlichen Schultergelenk sind die drohenden Folgerisiken oder Dauerschäden zu schwerwiegend und auch zu wenig überschaubar, als sie derzeit durch ein Schmerzensgeld angemessen abgegolten werden könnten.
Deshalb ist es ratsam in diesem Beispielsfall lediglich ein (geringeres) Teilschmerzensgeld einzuklagen, um sich ein weiteres Schmerzensgeld für die Zukunft zu sichern, falls sich der gesundheitliche Zustand verschlechtert.
Ist die Behandlung noch nicht abgeschlossen und lässt sich der Behandlungserfolg nicht sicher vorhersagen, besteht für den Patienten oder das Unfallopfer bei Erhebung einer Schmerzensgeldklage die Möglichkeit, entweder für etwaige Risiken einen Aufschlag auf das Schmerzensgeld geltend zu machen oder aber sich auf eine offene Teilschmerzensgeldklage zu beschränken, mit der dann nur ein geringeres Schmerzensgeld gefordert werden kann, da Risiken nicht eingepreist werden. Dann besteht die Möglichkeit, dass die noch nicht eingetretenen Schadensfolgen aus der Schmerzensgeldbemessung herausgenommen werden.
Geschädigte müssen immer überlegen und sich ärztlich beraten lassen, ob größere Folgeschäden und Gesundheitsrisiken (etwa: künstliche Gelenke, Lähmungen, Epilepsie, Amputationen, Rollstuhlpflichtigkeit, Erblindung) in Betracht kommen; in diesem Fall sollte das Schmerzensgeld auf ein Teilschmerzensgeld beschränkt werden, um später im Fall des Falles weiteres Schmerzensgeld fordern zu können, sagt Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Dr. Lovis Wambach.
Das vollständige Urteil des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 27.4.2021 – 1 U 152 / 20 können Sie hier als PDF (24 KB) herunterladen:
OLG Düsseldorf, Urteil vom 27. April 2021 – 1 U 152/20
Über die Entscheidung des höchsten deutschen Zivilgerichts, des Bundesgerichtshofs, zum Teilschmerzensgeld (BGH, Urteil vom 20.01.2004, Az.: VI ZR 70/03) haben wir einen eigenen Beitrag erstellt, den Sie hier einsehen können:
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