Schmerzensgeldes ist taggenau zu berechnen

„Schmerzensgeld ist taggenau zu berechnen“, so lautet der Leitsatz der Sentenz des Landgerichts Frankfurt vom 17.7.2019 – 2-24 O 246 /16. Der Ansatz, Schmerzensgeld taggenau zu berechnen, ist relativ neu. Entwickelt haben diesen Rechtsgedanken die Fachanwälte für Verkehrsrecht und Spezialisten für Personenschadensrecht Cordula und Michel Schah Sedi, sowie Professor Dr. Peter Schwintowski. Als erstes Gericht ist das Oberlandesgericht Frankfurt mit seinem Urteil vom 18.10.2018 -22 U 97/16 diesen Berechnungsansatz gefolgt.

Neuer Ansatz zur Bemessung des Schmerzensgeldes:
taggenaue Berechnung

Die Besprechung bietet eine Zusammenfassung der Problematik. Wir haben auch das Urteil des Oberlandesgerichts auf unserer Homepage besprochen. Die Besprechung bietet eine Zusammenfassung der Problematik. Wer noch nie von der Möglichkeit der taggenauen Schmerzensgeldbemessung gehört hat, sollte den vorherigen Beitrag jetzt zumindest überfliegen, bevor er weiter liest:

Neuer Ansatz zur Bemessung des Schmerzensgeldes: Taggenaue Berechnung

Das Urteil des Oberlandesgerichts hat Kritik erfahren, ist aber auch sehr wohlwollend besprochen worden. In Fachkreisen ist es zurzeit in aller Munde. Wir vermuten, dass es momentan das meistbesprochene Zivilurteil ist. Dies zeigt, dass der Ansatzpunkt der taggenauen Berechnung einen wunden Punkt getroffen hat: die Schmerzensgelder in Deutschland sind viel zu niedrig; die Bemessung der Schmerzensgelder in der gerichtlichen Praxis hat mit Gerechtigkeit nichts zu tun. Für die gleiche Verletzung gibt es je nach Bundesland, je nach zuständigem Gericht ganz und gar unterschiedliche Summen; selbst am gleichen Gericht wird bei unterschiedlichen Kammern mal verletzten-freundlicher, mal verletzten-unfreundlicher ausgeurteilt.

Nun zum Urteil des Landgerichts: in dem Fall ging es darum, dass der Geschädigte mit 93 Jahren als Beifahrer bei einem Verkehrsunfall außerordentlich schwer verletzt worden ist: Er erlitt Frakturen des Oberschenkelhalsknochens, der Hüfte, des Nasenbeins und eine Rippenserienfraktur. Außerdem erlitt er ein schweres Schädel-Hirn-Trauma. Nachdem man an dem alten Herren verschiedene Operation durchgeführt hatte und er in Rehabilitation, Pflegeeinrichtungen und Krankenhäusern noch ein halbes Jahr „lebte“, verstarb er. Seine Erben klagten, weil der Versicherer der Gegenseite außergerichtlich unzureichendes Schmerzensgeld zahlte.

Dass sah auch das Landgericht so und stockte die vorgerichtlich an die Erben des Verstorbenen gezahlten 30.000 € auf insgesamt 50.000 € auf.

Das Gericht hob unter Berufung auf das Urteil des Oberlandesgerichts hervor, dass die taggenaue Bemessung des Schmerzensgeldes nach dem Bruttonationaleinkommen die Ermittlung eines angemessen Schmerzensgeldbetrages zugunsten sozialer Gleichheit und nicht nach dem sozialen Status eines Geschädigten ermöglicht. Auch befürwortet es bei Dauerschäden eine Orientierung an der statistischen Lebenserwartung. Dem ist zuzustimmen. Allerdings ist zu bemerken: eine Orientierung an der statistischen Lebenserwartung führt meist zu einer Erhöhung des Schmerzensgeldes, weil die meisten Opfer noch eine hohe statistische Lebenserwartung haben. In diesem Fall war die statistische Lebenserwartung eines Mannes in Deutschland schon seit 13 Jahren abgelaufen. Das Gericht konnte also dem Geschädigten nur für jeden Tag vom Unfall bis zum Tod einen täglichen Ersatzbetrag zusprechen.

Es würde den Rahmen dieser Besprechung sprengen, wenn die Berechnung des Gerichts im Einzelnen dargestellt würde.

Zusammengefasst ergibt sich Folgendes:

Der Geschädigte befand sich nach dem Unfall sechs Tage auf der Intensivstation, dann 84 Tage auf der Normalstation, dann 18 Tage in einer Rehabilitationseinrichtung. Der Aufenthalt in diesen verschiedenen Stationen wird mit einem unterschiedlichen Prozentsatz vom Bruttonationaleinkommen gewichtet. Das wird genau berechnet.

Die taggenaue Schmerzensgeldberechnung nach Schah Sedi sieht darüber hinaus vor, dass bei der Schmerzensgeldbemessung für die Höhe des Dauerschadens auch Abschläge oder Zuschläge möglich sind, sodass ein durch die Starrheit der taggenaue Berechnung unbilliges Ergebnis hinsichtlich der Billigkeit (Gerechtigkeit) ausgeglichen werden kann. Von diesem Ansatz der Kompensation hat das Landgericht Gebrauch gemacht.

Es hat schmerzensgelderhöhend berücksichtigt, dass der Geschädigte schwerste Verletzungen erlitten hat, die dazu führten, dass er für die bescheidene Restzeit seines Lebens Aufenthalte auf der Intensivstation, auf der Normalstation und in Rehabilitationeinrichtungen über sich ergehen lassen musste. Außerdem musste er sich in den sechs Monaten bis zu seinem Tode sieben Operationen in Vollnarkose unterziehen, was im Lichte des fortgeschrittenen Alters zu besonderen Beeinträchtigungen und Belastungen führte.

Einen höheren Schmerzensgeldbetrag hat das Gericht nur deswegen nicht in Erwägung gezogen, weil das Opfer nicht angeschnallt war und ihn deshalb ein Mitverschulden traf, was die Höhe des Schmerzensgeldes mindert.

Nachtrag Februar 2022:

Der Bundesgerichtshof hat leider den Ansatz des taggenauen Schmerzensgeldes verworfen und festgestellt: „Maßgebend für die Höhe des Schmerzensgeldes sind im Wesentlichen die Schwere der Verletzungen, das durch diese bedingte Leiden, dessen Dauer, das Ausmaß der Wahrnehmung der Beeinträchtigung durch den Verletzten und der Grad des Verschuldens des Schädigers. Dabei geht es nicht um eine isolierte Schau auf einzelne Umstände des Falles, sondern um eine Gesamtbetrachtung aller Umstände des Einzelfalls. Dabei ist in erster Linie die Höhe und das Maß der entstandenen Lebensbeeinträchtigung zu berücksichtigen. Auf der Grundlage dieser Gesamtbetrachtung ist eine einheitliche Entschädigung für das sich insgesamt darbietende Schadensbild festzusetzen, die sich jedoch nicht streng rechnerisch ermitteln lässt.“ (BGH, Urteil vom 15. Februar 2022 – VI ZR 937/20).

 

„Wenn man den ersten und den letzten Tag mitzählt, musste der schwerverletzte alte Herr 153 Tage außerordentlich leiden und hatte am Ende seines Lebens zusätzlich, weil es die letzten sind, sehr wertvolle Tage verloren“, sagt Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Dr. Lovis Wambach, „das rechtfertigt den Schmerzensgeldbetrag in jeder Hinsicht.“

„Die innovative Berechnungsmethode ist zudem ein Kontrollmaßstab der Gerechtigkeit, weil sie plastisch vor Augen führt, was ein Geschädigter tatsächlich bekommt, da die Gesamtsummen oft sehr hoch wirken“, sagt Rechtsanwalt und Fachanwalt für Verkehrsrecht Rouven Walter, „für die Plastizität spielt es keine große Rolle, ob man auf den Tag genau umrechnet, auf die Stunde, auf den Monat oder auf das Jahr.“

 

Das BGH Urteil vom 15.02.2022 – VI ZR 937/20 können Sie hier als PDF (218 KB) herunterladen:

 
BGH, Urteil v. 15.02.2022 – VI ZR 937/20
 

Das Urteil des Landgerichts Frankfurt vom 17.7.2019 – 2-24 O 246 /16 können Sie hier als PDF (76 KB) herunterladen:

 
LG Frankfurt v. 17.7.2019 – 2-24 O 246 /16
 

Das vollständige Urteil des Oberlandesgerichts Frankfurt vom 18.10.2018 – 22 97/16 können Sie hier als PDF (172 KB) herunterladen:

 
OLG Frankfurt, Urteil v. 18.10.2018 – 22 97/16

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