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Schmerzensgeld und Lebensbeeinträchtigungen

Der Schmerzensgeldanspruch ist in § 253 BGB geregelt. Diese Norm gibt aber zum Hauptproblem des immateriellen Schadens Schmerzensgeld nichts her. Das Gesetz spricht an dieser Stelle auch gar nicht von Schmerzensgeld, sondern von immateriellem Schaden (in Abgrenzung zum materiellen Schaden: Haushaltsführungsschaden, Erwerbsschaden, Vermehrte Bedürfnisse).

Das ergibt insofern Sinn, weil das Schmerzensgeld nicht nur körperliche und seelische Schmerzen erfasst, sondern gerade darüber hinaus auch die Beeinträchtigung ideeller und subjektiver Werte, also etwa:

  • den Verlust lieb-gewonnener Beschäftigungen (Hobbys, Sport),
  • Entstellungen,
  • Behinderungen oder
  • die Minderung der Lebensfreude bis hin zu
  • psychischen Beeinträchtigungen.

Die Bedeutung der Lebensbeeinträchtigungen für die Schmerzensgeldbemessung:

1. Die Bedeutung der Lebensbeeinträchtigungen für die Bemessung des Schmerzensgeldes

Das Schmerzensgeld soll dem Geschädigten auch eine Genugtuung verschaffen; in erster Linie soll es aber dazu dienen, dem Geschädigten einen angemessenen (billigen) Ausgleich für die erlittenen Schäden zu verschaffen.

Der Bundesgerichtshof formulierte diesen Gedanken dahingehend, dass der Schädiger dem Geschädigten über den Vermögensschaden hinaus (materieller Schadensersatz: Verdienstausfall, SchmerzensgeldVermehrte Bedürfnisse) das Leben schwer gemacht hat und nun durch seine Leistung des immateriellen (nichtvermögensrechtlichen) Schadensersatzes (Schmerzensgeld) helfen soll, es ihm im Rahmen des Möglichen wieder leichter zu machen.

Schon sehr früh wies der Bundesgerichtshof darauf hin, dass ein Ersatz für immaterielle Schäden im Einzelfall für den Geschädigten mindestens so wichtig erscheinen kann, wie die Ersatzleistung für den Verlust geldwerter Güter. Er hob hervor, dass ebenso wie beim Ausgleich des Vermögensschadens auch bei der Bemessung des Schmerzensgeldes nur ein Entschädigungsbetrag ausreichen kann, der zur Beseitigung des verursachten Nachteils notwendig ist. „’Billig‘ ist eine Entschädigung dann, wenn sie durch die ‚Billigkeit‘, d.h.: der durch eine angemessene Rücksichtnahme auf den entstandenen immateriellen Schaden gebotenen Höhe, entspricht.“ (BGH, Urteil vom 29.09.1952 – III ZR 340/51).

Die Höhe des Schmerzensgeldes hängt von zahlreichen Faktoren ab. Besonders entscheidend sind: Das Ausmaß der Schmerzen (Intensität, Dauer, Folgeschäden, Entstellungen, Vermögensverhältnisse des Schädigers und des Geschädigten etc.). Auch der Grad des Verschuldens spielt eine Rolle. Der für einen Ausgleich erforderliche immaterielle Schadensersatz (Schmerzensgeld) hängt in erster Linie von dem Umfang der Schäden ab. Bei der Abwägung steht nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (grundlegend: BGH, Beschluss vom 06.07.1955 – GS 1/55) die erlittene Lebensbeeinträchtigung im Verhältnis zu den anderen zu berücksichtigenden Umständen immer an der Spitze.

Lebensbeeinträchtigungen sind nicht nur die Beeinträchtigungen im körperlichen Sinne, also Verletzungen und Verletzungsfolgen, wie etwa der Verlust des Augenlichts oder eines Beins, sondern darüber hinaus auch die Beeinträchtigung oder Verlust der beruflichen und/oder sozialen Stellung. Eine zentrale Rolle spielen die Lebensbeeinträchtigungen im Alltag, etwa die Aufgabe der Hobbys, Sport, Autofahren (Nr. 2), der Verlust von Familie und Freundeskreis (Nr. 3), entstellende Narben (Nr. 4), die Verminderung der Heiratschancen (Nr. 5), der Verlust der Zeugungsfähigkeit (Nr. 6), die Einschränkung des Sexuallebens (Nr. 7), Verlust des Berufs oder Vereitelung des Berufswunsches (Nr. 8), Dauerhafte Einnahme von Medikamenten (Nebenwirkungen, Abhängigkeit) und besonders die dauerhafte Einnahme von Schmerzmitteln (Nr. 9) und schließlich psychische Beeinträchtigungen (Nr. 10).

2. Die Lebensbeeinträchtigungen im Alltag (Hobbys, Sport, Autofahren, Motorradfahren)

Anerkannt ist, dass es sich Schmerzensgeld erhöhend auswirken muss, wenn dem Geschädigten dadurch Lebensfreude genommen wird, dass er seine Hobbys nicht mehr ausüben kann. Zu den Hobbys (Steckenpferd, Freizeitbeschäftigungen) zählen auch das Autofahren, das Motorradfahren und natürlich der Sport, der in Gerichtsentscheidungen am Häufigsten erwähnt wird.

So kann es sich Schmerzensgeld erhöhend auswirken, wenn ein Geschädigter vor dem Unfall oder dem BehandlungsfehlerLeistungssport getrieben hat, nunmehr ihm aber nur noch normaler Freizeitsport möglich ist. In einer Entscheidung eines Oberlandesgerichts heißt es dazu: Die bisherige Lebensführung des Geschädigten sei durch die prägende Freizeitbeschäftigung des aktiven Sports bestimmt gewesen, so dass der Leistungsstand eines normalen Freizeitsportlers nicht als gleichwertig empfunden werden kann. „Der damit verbundene Verlust an Lebensfreude muss sich spürbar auf die Höhe des Schmerzensgeldes auswirken.“ Das Gericht hat dann das Schmerzensgeld nur um 5.000,- Euro erhöht, weil es gemeint hat, dass der Schaden allmählich an Bedeutung verliere, weil an die Stelle des Leistungssports neue Aktivitäten und Interessen träten. Das ist sehr hypothetisch – und mit der Glaskugel sollte ein Gericht nicht hantieren. Ein Marathonläufer wird nicht mit der gleichen Begeisterung Briefmarken sammeln, wie er vormals gelaufen ist.

In einem anderen Fall musste der Geschädigte unfallbedingt seine Karriere als Spitzensportler aufgeben. Damit ist ein wesentlicher Teil seiner persönlichen Selbstverwirklichung durch ein plötzliches Ereignis verloren gegangen. Auch ohne eine daraus resultierende psychische Erkrankung hat das Gericht ein erhöhtes Schmerzensgeld zugesprochen, weil auch die durch den Unfall bedingte ideelle Beeinträchtigung, die in dem Abbruch der Sportlerkarriere liegt, für die Bemessung des Schmerzensgeldes maßgebend ist, so das Gericht.

Ein Oberlandesgericht hat Schmerzensgeld erhöhend berücksichtigt, dass bei einer schweren Verletzung eines jungen Menschen kein Laufsport mehr ausgeübt werden konnte. Das besondere: Der junge Mensch (22) übte gar keine Laufsportarten aus. Das Oberlandesgericht aber meinte (anders als das Landgericht), dass es darauf gar nicht ankomme, weil zahlreiche Menschen die Entscheidung zur Erhaltung der Gesundheit oder zu Zwecken der Geselligkeit einen Sport auszuüben, oft erst in späteren Lebensjahren fällen. „Derjenige, der infolge der Unfallschäden an der Ausübung weit verbreiteter Sportarten (z.B. Fußball, Tennis, Volleyball) gehindert ist, ist daher gegenüber einem Gesunden erheblich benachteiligt. Die Bedeutung dieser Benachteiligung ist für einen Menschen im Alter von 22 Jahren hoch zu veranschlagen, da sie sich auf die gesamte restliche Lebensdauer auswirkt.“

Derzeit sind das bei 22jährigen Männern statistisch 56,3 Jahre. Das sind 20.530 Tage ohne Sport.

3. Verlust von Freundeskreis und Familie als Lebensbeeinträchtigung

Einsamkeit ohne Familie und Freundeskreis ist für viele Menschen eine schreckliche Vorstellung, die ihnen seelische Pein verursacht. Solcherlei Beeinträchtigung der Lebensgestaltung ist – wie auch eine Verminderung der Heiratschancen (Nr. 5) – ein erheblicher Bemessungsfaktor des Schmerzensgeldbetrags, wenn sie auf einen Verkehrsunfall oder eine ärztliche Fehlbehandlung zurückzuführen ist. Für das allgemeine Risiko einer Zerrüttung von Ehe oder Familienbanden hat der Schädiger nicht einzustehen. Es muss also festgestellt werden, dass zum Beispiel ein sehr langer Krankenhausaufenthalt oder seelische Störungen, so etwa bei schweren Depressionen, zur Entfremdung der Eheleute oder zum Zerwürfnis der Familie geführt hat. Eine Zerrüttung, die nicht aus den Verletzungsfolgen herrührt, ist nicht ersatzpflichtig.

Der Bundesgerichtshof hat bei einem elfjährigen Opfer eines Verkehrsunfalls schmerzensgelderhöhend berücksichtigt, dass der Junge nach einem mehrmonatigen Aufenthalt in der Kinderklinik und einem längeren Aufenthalt in einem Reha-Zentrum weit weg von seinem Elternhaus (Familie und Freundeskreis) in seiner Lebensgestaltung nachhaltig gestört worden ist, so hatte er auch durch die schulische Rückstufung um zwei Jahre, Freunde und Lebenszeit verloren.

Im Falle einer vollständigen Erblindung nach Entfernung beider Augäpfel und Versorgung mit Prothesen („Glasaugen“) eines Zehnjährigen berücksichtigte das Gericht bei der Bemessung des Schmerzensgeldes zum einen die statistische Lebenserwartung von 70 Jahren, ohne allerdings auf den Tag umzurechnen und zum anderen aber auch, dass der Junge aufgrund des Behandlungsfehlers die Erschwernisse eines Blinden meistern muss, was sich unmittelbar auf soziale Beziehungen, Wahl der Lebenspartnerin (siehe auch Nr. 5) und Freundeskreis auswirke.

4. Entstellende Narben als Lebensbeeinträchtigung

Der Narben lacht, wer Wunden nie gefühlt“

Shakespeare: Romeo und Julia (II, 2)

Das beleuchtet das Unverständnis für die Leiden anderer aufgrund mangelnder Erfahrung. Eine gerade im Personenschadensrecht sehr zutreffende Lebensweisheit. Als Anwalt denkt man oft, ob die Richter, hätten sie schon einmal Verletzungen selbst erlitten, weiter so sparsam Schmerzensgeld verteilten?

Narben sind Dauerschäden!

Für eine entstellende Narbe muss das Schmerzensgeld höher ausfallen, nämlich schlicht für die Beeinträchtigung des Aussehens. Darauf beruhende psychische Beeinträchtigungen erhöhen gleichfalls das Schmerzensgeld. Es gibt Narben die zusätzlich Schmerzen verursachen. Auch das muss natürlich berücksichtigt werden.

Für sichtbare Narben, selbst, wenn diese im Gesicht sind, werden oft lediglich mäßige Schmerzensgelder gezahlt, was nicht nachvollziehbar ist, weil sich hier der Richter noch am einfachsten und schnellsten ein Bild vom Umfang der Lebensbeeinträchtigungen machen kann. Ein Gericht hat es etwas gestelzt aber zutreffend (knapp und gut!) auf den Punkt gebracht: „Bei der Inaugenscheinnahme des Gesichts der Klägerin konnte das Gericht (also der eine Amtsrichter, der entschieden hat) feststellen, dass nach nunmehr über zwei Jahren immer noch mehrere deutlich sichtbare ca. 1 cm große Narben im Gesicht der Klägerin vorhanden sind. Es ist somit erwiesen, dass die Narben über lange Sicht bei der noch sehr jungen Klägerin erkennbar sind und sein werden. Dieser massive Nachteil ist entsprechend zu kompensieren.“

Sind noch andere schwere Verletzungen vorhanden, gehen Narben in der Gesamtbemessung des Schmerzensgeldes (es wird unter Berücksichtigung aller Umstände und aller Verletzungen und Verletzungsfolgen ein Gesamtbetrag gebildet) leicht unter oder führen oft nur zu einer leichten oder unmerklichen Erhöhung des Schmerzensgeldbetrages.

Einen sehr hohen Schmerzensgeldbetrag bekam ein junges Verkehrsunfallopfer, weil es nach umfangreichen Operationen im Bauchraum aus seiner Lebensplanung komplett herausgerissen worden ist, sportliche Aktivitäten nur sehr eingeschränkt möglich sind und Freizeitaktivitäten äußerst beschränkt, insbesondere, so das Gericht, dem man Fotos vorgelegt haben muss (was immer sinnvoll ist), dürften Badeurlaube und Schwimmbadbesuche schon aufgrund der massiven und entstellenden Narben nicht mehr in Betracht kommen.

Ein Oberlandesgericht hat den Aspekt der Jugend und Schönheit in seiner ein Schmerzensgeld zusprechenden Entscheidung besonders hervorgehoben.

Auch unter dem Aspekt der Jugend der Klägerin bewertet, sei die von ihr als entstellend empfundene Narbe von großem Gewicht. In diesem Kontext gelte es zu berücksichtigen, dass sich bei jungen Mädchen ein durch die Medien geprägter – zu denken sei etwa an Fernsehsendungen wie „germanys next topmodel“ – Wertewandel vollzogen habe, sich zunehmend (nur) über ein möglichst makelloses Äußeres zu definieren, bzw. wertzuschätzen. Dass dieser Trend, den Geltungswert eines jungen Mädchens / einer jungen Frau auf sein / ihr äußeres Erscheinungsbild zu reduzieren, zu Recht nicht nur als Wertewandel, sondern als bedenklicher Werteverlust beklagt werde, stehe auf einem anderen Blatt. Als das Leben der Klägerin prägende Realität sei der (mediengeprägte) Trend bei der Schmerzensgeldbemessung zu akzeptieren und deshalb auch zu berücksichtigen; das habe nicht zuletzt der Umstand außer Frage gestellt, dass die Klägerin bei der Erwähnung der Narbe die Tränen in der Berufungsverhandlung nicht habe zurückhalten können und danach nicht mehr habe aufhören können, zu weinen. Damit wurde augenscheinlich und nachvollziehbar, dass sich die jetzt mit 15 Jahren im Teenageralter befindliche Klägerin wegen der langen und wulstigen Narbe auf ihrem (rechten) Oberschenkel sehr schäme und deshalb nicht nur das Tragen von Badebekleidung (Bikini etc.), sondern auch von Miniröcken, kurzen Hosen etc. scheue. Dass dieses Meiden der für ein junges Mädchen / jungen Frau üblichen Bekleidung als Handicap, ja sogar als Ausgrenzung empfunden werde und die physische Narbe so auch seelische Narben schlagen werde, bzw. schon geschlagen hätten, läge auf der Hand. Hieran ändere es nichts, dass es sich bei der Klägerin – wovon sich der Senat des Oberlandesgerichts (drei Berufsrichter) selbst habe überzeugen können – um ein ausnehmend hübsches junges Mädchen handelt.

Siehe auch unter: 5. Heiratschancen und 10. Psychische Beeinträchtigungen.

5. Die Verminderung der Heiratschancen als Lebensbeeinträchtigung

Sind die Chancen auf Heirat und Gründung einer Familie vermindert, so muss sich das bei der Bemessung des Schmerzensgeldes deutlich bemerkbar machen. Das gilt analog sowohl für das Eingehen einer festen Partnerschaft, sei es als uneheliche Lebensgemeinschaft oder eingetragene gleichgeschlechtliche Partnerschaft.

Schmerzensgeld als immaterieller Ersatz soll auch die zusätzliche seelische Belastung der Erschwerung einer Bindung berücksichtigen. In einem Urteil aus der Mitte des vorherigen Jahrhunderts hat das Oberlandesgericht Celle eine Verminderung der Heiratschancen bei einer jungen Frau bejaht, die sich nach einem Verkehrsunfall vom 26.08.1962 bis zum 12.08.1965 im Krankenhaus befand, also vom 23. bis zum 25. Lebensjahr. Dadurch, so das Gericht, ist sie „gehindert oder doch sehr beeinträchtigt worden, Beziehungen zum anderen Geschlecht mit dem Ziele der ehelichen Bindung anzuknüpfen.“

Das Kammergericht in Berlin (das ist das dortige Oberlandesgericht) hatte einen Fall zu entscheiden, in dem ein „U-Bahn-Schubser“ ein ihm unbekanntes Opfer ohne jeglichen Grund (einen Grund für so einen Hinrichtungsversuch kann es sowieso nicht geben) vor die U-Bahn warf, es dort hilflos zurückließ, vom Tatort floh und jegliche Reue vermissen lies. Der Geschädigte ist beinamputiert. Das Gericht hob schmerzensgelderhöhend hervor, dass das junge Opfer (22 Jahre) zum Zeitpunkt der Tat als Vater einer zweijährigen Tochter in einer festen Partnerschaft lebte. Seine Lebensgefährtin verließ ihn. Ihm werden, so das Gericht, seine körperlichen und seelischen Leiden den Aufbau einer neuen Partnerschaft, bzw. Familiengründung erschweren. Das hat es bei seiner Schmerzensgeldsumme (die monatliche Rente in Höhe von 375,- € ergibt abgezinst mit 5 % eine zusätzlichen Kapitalbetrag in Höhe von 85.000,- €, so dass sich zusammen mit dem Schmerzensgeldkapital von 250.000,- Euro 335.000,-) angepasst an die Geldentwertung 415.000,- Euro zu Recht berücksichtigt.

Umgerechnet und indexangepasst 140.000,- Euro sind nach Trümmerverletzungen am Ober- und Unterkiefer, Verletzungen am Kopf und Oberkörper, sowie bleibenden Entstellungen im Gesicht, mit dem Verlust des rechten Auges, ausgeurteilt worden, weil die junge Frau (das Alter ist nicht angeführt) es hinnehmen muss, dass ihr Gesicht auf Dauer entstellt und sich dadurch „ihre Heiratschancen und allgemeine Lebenslust verringert haben.“ Traurig, im Ansatz juristisch nachvollziehbar und in jedem Fall zu wenig.

Ein Urteil aus dem Jahre 1987 sprach Währungs- und Inflationsbereinigt einer 31 Jahre alten Frau 60.000,- Euro zu. Dieser Betrag, so die damalige Begründung, weil auch ihre Heiratschancen herabgemindert waren. Dies, weil ihr nach einem Verkehrsunfall als Dauerschäden verblieben waren: Eine chronische Hepatitis (erworben wegen einer Bluttransfusion), eine Minderung der Infektabwehr, eine körperliche Minderbelastbarkeit, nach leichtem Schädel-Hirn-Trauma, Kopfschmerzen, Konzentrationsstörungen, Magenschmerzen, Schmerzen nach längerem Stehen, Kraftminderung des linken Arms, Schmerzen am Kniegelenk, Einschränkung der Beweglichkeit des Hüftgelenks und der Sprunggelenke, Knick-, Senk-, und Spreizfüße und Schiefzehstellung. Außerdem eine Vielzahl von Narben an den Beinen (bis zu 40 cm) und eine deutlich sichtbare Narbe an der Stirn.

In dem Schmerzensgeldbetrag (das waren damals 70.000,- DM) waren auch noch enthalten die Notwendigkeit einer Umschulung, eine Verzögerung der Regulierung durch den Versicherer und ein siebenmonatiger stationärer Krankenhausaufenthalt.

Rechnet man die damalige Summe zum damaligen Zeitpunkt auf die damalige Lebenserwartung der jungen Frau um, dann ergibt sich für diese zahlreichen Dauerschäden für die statistisch verbleibende Lebenszeit der jungen Frau ein Betrag von 3,45 Cent täglich, eigentlich noch weniger für die körperlichen Lebensbeeinträchtigungen, weil die Berufsveränderung, die Regulierungsverzögerung und die Krankenhausbehandlung in den Schmerzensgeldbetrag mit eingepreist waren.

Aber auch dann, wenn man mit der vollen Summe rechnet und über die Ausgleichsfunktion des Schmerzensgeldes philosophiert: Für 3,45 Cent am Tag kann man gar nichts kaufen. Das ist nicht einmal ein Ausgleich für den Hallux Valgus (Schiefzeh). Jeder, der auf der Straße gefragt würde, ob er für den Rest seines Lebens täglich 3,45 Cent, also 103,- Euro im Monat überwiesen haben möchte, wenn man ihm dafür den Zeh schief machte, würde entgeistert und empört sofort weitergehen. Das Urteil ist eine Ohrfeige für Opfer. Erst listen die Richter die zahlreichen Lebensbeeinträchtigungen auf, sodann werfen sie diesen unzureichenden Betrag aus, das ist unverständlich.

6. Der Verlust der Zeugungsfähigkeit als Lebensbeeinträchtigung

Wird durch eine Fehlbehandlung, einen Aufklärungsfehler oder unverschuldeten Verkehrsunfall die Zeugungsfähigkeit beeinträchtigt oder zerstört, dann muss für diese Lebensbeeinträchtigung ein Schmerzensgeld gezahlt werden. Die Schmerzensgelder fallen vergleichsweise niedrig aus, wenn man bedenkt, dass ein Ausgleichsbetrag für die Beeinträchtigung des Selbstbestimmungsrechts, des Selbstwertgefühls und der essentiellen Lebensplanung (Kinderwunsch) gefunden werden muss.

Für den Verlust der Empfängnis- und Gebärfähigkeit kommt es darauf an, ob schon Kinder vorhanden sind, der Kinderwunsch also schon teilweise erfüllt worden ist oder nicht. Auch das Alter spielt eine Rolle.

Bei einer auf einem Behandlungsfehler beruhenden „Totaloperation“ (Entfernung der Gebärmutter und Eierstöcke) mit Verlust der Fortpflanzungsmöglichkeit, aber auch mit drohender Inkontinenz und Nervenschmerzen im linken Bein sind einer Frau 54.000,- Euro immaterieller Ersatz zugesprochen worden.

Für eine 43 Jahre alte Klägerin gab es 28.000,- Euro für die Entfernung ihrer Gebärmutter ohne Indikation. Andere Gerichte sprachen für den Verlust des weiblichen Fortpflanzungsorgans bis zu 40.000,- Euro zu. Für Sterilisationen ohne Einwilligung sind bis zu 45.000,- Euro zugesprochen worden.

112.000,- Euro (indexangepasst) hat ein Gericht zugesprochen, weil der Patientin aufgrund eines Behandlungsfehlers die geschlechtliche Identität geraubt worden ist. Dies ist in dem Fall dadurch geschehen, weil behandlungsfehlerhaft als Kind nicht die weiblichen Geschlechtsorgane gefördert (medikamentös), sondern entfernt wurden, so dass die Betroffene später als Mann leben muss mit entsprechenden aufbauenden Operationen (Hodenprothesen etc.) und vor allem aber auch einer massiven Beeinträchtigung der geschlechtlichen Identität lebenslang (Leben im falschen Körper, Leben im falschen Geschlecht). Diese Lebensbeeinträchtigung wirkt sich täglich aus und betrifft alle Lebensbereiche. Zudem hat das Gericht selbst ausgeführt: „Der jetzige Zustand ist irreparabel und etwaige hormonelle oder chirurgische Maßnahmen können lediglich der Schadensminderung dienen, nicht jedoch einer auch nur ansatzweise kurativen Therapie. Dafür ist der Betrag bei Weitem zu niedrig,

Bei Männern sind für den Verlust eines Hodens zwischen 15 .000,- und 20.000,- Euro zugesprochen. Bei Impotenz und Inkontinenz bei fehlerhaften Prostataoperationen sind bis zu 50.000,- Euro zugesprochen worden.

In einem tragischen Fall ist einem Mann, der von dem Dackel seiner Schwiegermutter angefallen worden ist, nicht nur die Sexualität, sondern auch die Zeugungsfähigkeit genommen worden, weil der Dackel nicht nur den Penis übel zugerichtet, sondern auch beide Hoden abgebissen hat. Das Gericht sprach dem 41. jährigen Mann im Jahre 1988 100.000 DM zu. Die Richter neutralisierten auch die Angriffe der Gegenseite, der geforderte Betrag sei für das hohe Alter übersetzt. Es führte aus, dass einem 41jährigen Mann statistisch noch viele Jahre blieben, auch insoweit als dies sein Sexualleben betraf. (Ein heute 41 Jahre alter Mann hat statistisch noch 38 Jahre zu leben. Das sind 456 Monate, 13.870 Tage. 100.000 DM sind von 1988 bis 2018 an Inflation und Währung angepasst 86.000,- Euro). Dafür dass Sexualität angeblich eine der Haupttriebfedern des menschlichen Lebens sein soll, ist das ein ärmlicher Betrag, den der Mann sicher gerne an das Tierheim gespendet hätte, wenn dafür alles so wäre, wie zuvor.

Siehe auch unter 7. Die Einschränkung oder Verlust des Sexuallebens als Lebensbeeinträchtigung

7. Die Einschränkung oder Verlust des Sexuallebens als Lebensbeeinträchtigung

Wird durch eine Fehlbehandlung oder einen Aufklärungsfehler das Sexualleben beeinträchtigt oder ausgelöscht, dann muss für diese Lebensbeeinträchtigung ein Schmerzensgeld gezahlt werden.

Einem Mann, dessen Erektionsfähigkeit nach einer Gliedvergrößerungsplastik gestört (nicht aufgehoben) war, sind 22.000,- Euro zugesprochen worden.

Einem Mann, der einen Teil seiner Eichel durch einen Aufklärungsfehler (keine Aufklärung über Behandlungsalternativen) eingebüßt hat, sind 30.000,- Euro zugesprochen worden, insbesondere für die psychischen Beeinträchtigungen: Er ist in hohem Maße gehemmt, „Frauen intim gegenüber zu treten, weil er befürchtet, dass der Anblick seines Penis abstoßend wirken könnte.“

Schönheitsoperativ werden auch Eingriffe am Penis vorgenommen. Die Verdickung des Peniskopfes kostet etwa 7.000,- Euro; die Verlängerung 6.000,- Euro. Eine vom Bundesgerichtshof in solchen Fällen geforderte schonungslose Aufklärung ist für den Arzt schwerlich zu erbringen. Wird sie den Anforderungen des Bundesgerichtshofs gerecht, werden 99,9 Prozent der Männer sofort aus der Praxis laufen.

Ein Arzt der solche Behandlungen anbietet, kann deshalb gar nicht über die Risiken korrekt aufklären, sonst würde er kein Geld verdienen. Solche Ärzte sind quasi die Banker (inferiore „Aufklärung“ über die Risiken der Geldanlage) unter den Medizinern. Folgerichtig bieten viele dieser Ärzte auch Hilfe bei der Finanzierung der Operationskosten an, also Hinweise auf Finanzdienstleister, die dann mit niedrigem effektiven Jahreszins und Monatsraten aushelfen bei entsprechend sauberer Schufa. Da kann dann der Behandlungsfehler bequem in Raten abbezahlt werden.

Die nicht haltbaren „Längenzuwachs-Versprechungen“ stehen in keinem Verhältnis zu den typischen Risiken des Eingriffs. Bei der Operation ist ein Eingriff in die natürliche Verankerung und Statik des Gliedes notwendig. Selbst dann, wenn eine Verlängerung des Organs gelingen sollte, besteht die Gefahr, dass infolge Narbenkontraktion ein Großteil des Operationsergebnisses wieder zunichte gemacht werden könnte.

Ein Gericht hat einem Kläger die Rückzahlung des in Vorkasse geleisteten Honorars in Höhe von 11.000,- Euro für die Penisoperation und 30.000,- Euro Schmerzensgeld für eine missglückte Penisverlängerung zugesprochen, weil schon die Aufklärung unterirdisch war, ist ein Behandlungsfehler gar nicht geprüft worden.

Bei einer Penisoperation mit gänzlichem Verlust der Kohabitationsfähigkeit (Fähigkeit den Geschlechtsverkehr auszuführen) sind einem Mann 50.000,- Euro zugesprochen worden. Er hatte zusammen mit seiner Frau geklagt. Deren Klage auf ein eigenes Schmerzensgeld ist aber abgewiesen worden. Sie hatte vorgetragen, sie sei in den Schutzbereich des Behandlungsvertrages mit einbezogen worden. Sie leide genau wie ihr Mann auch darunter, dass ihr Sexualleben zum erliegen gekommen sei. Dies sei keine körperliche Schädigung, meinte das Gericht. Auch einen Verstoß gegen die sexuelle Selbstbestimmung verneinte das Gericht. Die Klägerin habe auch nicht vorgetragen aufgrund des Wegfalls von Sex, einen psychischen Schaden mit eigenem Krankheitswert davongetragen zu haben. Das hätte sie unter Vorlage entsprechender Atteste tun sollen. Dann wäre ihre Klage vermutlich erfolgreich gewesen.

Siehe auch unter 6. Der Verlust der Zeugungsfähigkeit als Lebensbeeinträchtigung

8. Verlust des Berufs oder Vereitelung des Berufswunsches als Lebensbeeinträchtigung

Die Arbeit hat eine hohe Bedeutung im Leben der Deutschen. Sie rangiert nach Umfragen auf Platz zwei der bedeutsamsten Lebensbereiche, direkt hinter Familie und Partnerschaft. So ist es folgerichtig, dass der Verlust der Arbeit, des Berufs oder die Zerstörung des Berufswunschs einen immateriellen Ersatzanspruch nach sich ziehen. Während es sich bei dem Ersatz des Erwerbsschadens um materielle Entschädigung handelt (aufgrund der mathematisch erfassbaren Differenzen berechenbare Geldleistungen), ist der Verlust des Berufs oder die Zerschlagung eines Berufswunsches immateriellen Ersatz, also nicht greifbar, sondern dem Schmerzensgeld zugeordnet, wobei die Intensität der Lebensbeeinträchtigungen die Höhe des Schmerzensgeldes bestimmt. Ein Gericht hat es knapp aber treffend auf den Punkt gebracht: „In diesem Fall hat der Unfall das Leben des Klägers maßgeblich verändert. Der Unfall hat einen gesunden Mann so verletzt, dass er auch nach intensiver und langfristiger Behandlung nicht vollständig geheilt werden konnte und aufgrund der Beschwerden seiner Arbeit nicht mehr nachgehen kann.“ Dafür muss er selbstredend entschädigt werden.

Ein immaterieller Nachteil ist nach der Rechtsprechung schon darin zu erblicken, dass ein Verletzter (oder Opfer eines Behandlungsfehlers) lediglich einen nicht so gehobenen Beruf ergreifen konnte, wie es ihm ohne Schädigung möglich gewesen wäre. Aber selbst dann, wenn der Geschädigte einen vielleicht sogar gehobeneren, besser bezahlten Beruf ergreifen kann, der ihm als Tätigkeit der zweiten Wahl eine geringere Befriedigung vermittelt, dann ist auch dieser Schaden ersatzfähig. Die Berufswunschvereitelung ist nämlich schon deshalb schmerzensgelderhöhend zu berücksichtigen, weil der Mensch so viel Zeit in der Ausübung seines Berufs verbringt, dass eine ungeliebte Tätigkeit die Lebensfreude erheblich beeinträchtigt.

Das Schmerzensgeld aufstockend hat ein Gericht gewertet, dass der Geschädigte nach dem Unfall fünf Jahre lang erwerbsunfähig geblieben, und ihn seither eine dauerhafte Minderung der Erwerbsunfähigkeit von 50 Prozent in seinem beruflichen Fortkommen hindert und besonders den Umstand, dass die bestehende Ungewissheit über die gesundheitliche Entwicklung und die weitere Zukunft – insbesondere in beruflicher Hinsicht – zu erheblichen psychischen Belastungen geführt hat.

Siehe auch unter: 10. Schädigung der Psyche als Lebensbeeinträchtigung

9. Dauerhafte Einnahme von Medikamenten als Lebensbeeinträchtigung

Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes sind auch Folgeschäden und Dauerschäden zu berücksichtigen. Die verletzungsbedingte Notwendigkeit der Einnahme von Medikamenten und insbesondere von abhängig machenden Schmerzmedikamenten kann ein dauerhafter Folgeschaden sein.

Auch erforderliche Nachoperationen (etwa die operative Verlagerung eines Nervs) können zu einer Steigerung des ärztlich verordneten Schmerzmittelverbrauchs und zum Einsatz von Opiaten führen, die leicht zu einer Opiatabhängigkeit führen kann. Möglich ist auch, dass sich ein Schmerzsyndrom chronifiziert. Das Wesen einer solchen somatischen Schmerzstörung besteht in der Störung der Schmerzverarbeitung. Die Schmerzverarbeitung verselbstständigt sich, wobei es zu einem Teufelskreis zwischen Funktionsbeschränkung und Schmerzwahrnehmung kommen kann, was wiederum zu einer Erhöhung der Dosis führt. Die Nebenwirkungen von Schmerzmitteln und Opiaten sind schwerwiegend, so kann auch die Wahrnehmungs- und Denkfähigkeit beeinflusst sein, so weit, dass sich eine dauerhafte Erwerbsunfähigkeit einstellen kann. Sehstörungen, Konzentrationsstörungen, Reaktions- und Gedächtnisstörungen tun ihr übriges.

Da die Nebenwirkungen von Medikamenten von Gerichten und auch Versicherern oftmals bagatellisiert werden, musste das einmal so deutlich gesagt werden.

Es ist auch immer möglich, dass es zu einer Medikamentenunverträglichkeit kommen kann. Wenn dann ein geeignetes Schmerzmittel nicht gefunden werden kann, müssen die Schmerzen ertragen werden, was dem Wort Schmerzensgeld seine ursprüngliche Bedeutung zurückgibt, denn auch Schmerzen selbst sind natürlich Lebensbeeinträchtigungen.

Die Beeinträchtigungen durch Schmerzen und Schmerzmedikamente können zu depressiven Episoden oder dauerhaften massiven psychischen Belastungen führen, die wiederum eine Medikamenteneinnahme notwendig machen und die Lebensführung noch weiter beeinträchtigen.

Siehe unter: 10. Schädigung der Psyche als Lebensbeeinträchtigung

10. Schädigung der Psyche als Lebensbeeinträchtigung

Nicht nur Körperschäden, auch für psychische Schäden muss ein Ausgleich (Schmerzensgeld) gezahlt werden. In Betracht kommen Schäden aufgrund der eigentlichen Verletzung, soweit das Gehirn betroffen ist, etwa Wesensveränderungen oder intellektuelle Einschränkungen.

So hat ein Gericht einer jungen Frau, die bei einer Schilddrüsenoperation aufgrund Sauerstoffunterversorgung einen schweren Gehirnschaden erlitt und „aus der Blüte ihres luxuriösen privilegierten Lebens gerissen wurde“ mit körperlichen Beeinträchtigungen und tiefen Depressionen und posttraumatischen Belastungsstörungen 310.000,- Euro als immateriellen Ausgleich zugesprochen.

Einem bei einer Nasenoperation (Gehirnblutung aufgrund eines groben Behandlungsfehlers) geschädigten Patienten sind 200.000,- Euro für folgende Lebensbeeinträchtigungen zugesprochen worden: Vollständiger Verlust des Orientierungsvermögens und der Konzentrationsfähigkeit, des Antriebs, der Entschlussfähigkeit, der Libido, des Geschmacksinns, des Geruchssinns und der Fähigkeit, Freude zu empfinden, nebst emotionaler Verflachung und Interessenlosigkeit. Der Geschädigte ist erwerbsunfähig geworden und sitzt im Wesentlichen zu Hause im Sessel und tut nichts. Aufgrund seiner kognitiven Einschränkungen hat er kein Interesse mehr am Lesen oder Fernsehen.

In der Praxis ganz häufig sind psychische Folgeschäden, die das Leben beeinträchtigen, etwa: die Angst vor Folgebehandlungen, Sorge um das eigene Schicksal, Angst um die Zukunft der Familie und (häufig) die Beeinträchtigung oder der Verlust der Lebensfreude.

Der für eine Körperverletzung (Verkehrsunfall) oder Gesundheitsbeschädigung (Behandlungsfehler) verantwortliche Schädiger (Autofahrer oder Arzt) muss nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs grundsätzlich auch für die Folgewirkungen einstehen, die aus einem Unfallgeschehen oder Behandlungsfehler herrühren. Die Zurechnung solcher Folgeschäden scheitert auch nicht in dem Fall, dass sie auf einer „Schwäche“ des Verletzten beruhen. Der Schädiger kann sich nicht darauf berufen, dass der Schaden nur deshalb eingetreten ist oder sich verschlimmert hat, weil der Verletzte besonders anfällig gewesen ist. Wer einen körperlich oder seelisch schon geschwächten Menschen verletzt, kann nicht verlangen, so gestellt zu werden, als wäre der Betroffene gesund gewesen. Das gilt selbst dann, wenn ein Verletzter schon einen oder mehrere Unfälle/ Behandlungsfehler erlebt hat, die Folgen dieser Verletzungen aufgrund kämpferischer Natur überwunden hat, seine Widerstandskraft dadurch aber nahezu erschöpft gewesen ist, so dass das neuerliche Ereignis als „letzter Tropfen“ genügt um bei dem vorgeschädigten Opfer „das Fass zum Überlaufen zu bringen“.

Zurechenbar sind auch psychische Fehlverarbeitungen von Unfällen, Verkehrsunfällen und Behandlungsfehlern, bei denen beispielsweise aus medizinischer Sicht nicht nachvollziehbar der Schmerz chronisch wird.

Davon abzugrenzen ist die sogenannte Begehrensneurose, bei der das Unfallgeschehen zum Anlass genommen wird, im neurotischen Streben nach Versorgung und Sicherheit in körperliche Beschwerden zu flüchten, um den Schwierigkeiten und Belastungen des Erwerbslebens auszuweichen. Für diese Störung gibt es keinen Schadensersatz.

Für das seelische Leid, das nahe Angehörige erleiden bei Verlust des Partners, des Kindes oder der Eltern, wird ein Hinterbliebenengeld (Angehörigenschmerzensgeld) gezahlt.

Wenn die Trauer über das „normale Trauern“ hinaus geht, also eine medizinisch nachweisbare Beeinträchtigung vorliegt, die über diejenigen Gesundheitsbeeinträchtigungen hinausgeht, denen nahe Angehörige bei Todesnachrichten erfahrungsgemäß ausgesetzt sind, ist zusätzlich der sogenannte „Schockschaden“ zu ersetzen.

Gerichte haben bisher ein Schmerzensgeld (meist um die 20.000,- Euro) für Schockschäden aufgrund von Todesfällen zugesprochen, wenn etwa die Eltern und die Schwester dadurch eine posttraumatische Belastungsstörung erleiden, wenn sie mit ansehen müssen, wie der Sohn und Bruder, ein Schüler, mit mehreren Messerstichen getötet wird.

Die Eltern verfielen in tiefste Depressionen, wurden arbeitsunfähig und verloren den Kontakt zu ihrer Umwelt, weil ihre drei Kinder unverschuldet bei einem Unfall getötet wurden.

Vater, Mutter und die beiden Brüder eines tödlich verunglückten Jungen erhielten immateriellen Ersatz dafür, dass sie mit ansehen mussten wie ihr elfjähriger Sohn und Bruder im Urlaub mit einem Arm in das Absaugrohr im Pool geriet (Verletzung der Verkehrssicherungspflicht und dadurch Haftung des Reiseveranstalters). Er konnte nicht rechtzeitig befreit werden, auch nicht mit Hilfe seiner beiden Brüder. Die Angehörigen leiden unter posttraumatischen Belastungsstörungen, Alpträumen, Depressionen, Angst- und Panikattacken und Schlafstörungen.

13.000,- Euro Schmerzensgeld (nebst materiellem Ersatz für den Verdienstausfall) hat ein Oberlandesgericht (die Revision zum BGH hat es nicht zugelassen) einem Vater zugesprochen, der die behandlungsfehlerhaft (grober Behandlungsfehler) begleitete Geburt seines sodann schwerstbehinderten Sohn (geistig und körperlich) erleben und mit ansehen musste. Der „Schockgeschädigte“ musste die Totgeburt seines Kindes miterleben, die Wiederbelebung (Reanimation) und die nachfolgende Behandlung auf der Intensivstation und die weitere Verlegung. Der Vater musste sich in stationäre Behandlung wegen psychischer Behandlungsbilder (posttraumatische Belastungsstörung oder Traumareaktion, depressive Episode) begeben und bezieht eine Rente wegen voller Erwerbsminderung. Das ging nach Ansicht des Gerichts über dasjenige hinaus, was Angehörige in vergleichbaren Situationen erleiden. Die psychische Gesundheitsverletzung musste deswegen kompensiert werden. Ob ein Schmerzensgeldbetrag in dieser dürftigen Höhe kompensionsadäquat ist, mag bezweifelt werden.

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