Gehirn / Hirnverletzungen
Das Gehirn ist die Kommandozentrale des menschlichen Körpers. Im Gegensatz zu einer künstlichen Intelligenz kann das Gehirn Zusammenhänge erkennen und Verknüpfungen herstellen. Der biologische Computer des Menschen ist aber anfällig und empfindlich, besonders dann, wenn er nicht mehr mit genügend Sauerstoff versorgt wird, kann das Gehirn schnell irreparabel geschädigt werden. Durch Autounfälle und Motorradunfälle kann es irreparabel geschädigt werden (Schädel-Hirn-Trauma). Auch durch Behandlungsfehler kann es zu einer Sauerstoffunterversorgung kommen (hypoxischer Hirnschaden), etwa durch Narkosefehler. Das kann selbst bei einem Routineeingriff wie einer Mandeloperation passieren. Der schwerste Schaden, den ein Mensch erleiden kann, ist das so genannte „Wachkoma“ (appalisches Syndrom).
Fälle, bei denen der Verletzte durch den weitgehenden Verlust der Persönlichkeit getroffen worden ist, verlangen nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung des BGH nach einer eigenständigen Bewertung dessen, was als Entschädigung bei einer schweren Hirnschädigung für diesen immateriellen Verlust als „billig“ (gerecht) anzusehen ist.
Bei hirnorganischen Schädigungen besteht der zu ersetzende immaterielle Schaden nicht nur in körperlichen oder seelischen Schmerzen, also in Missempfindungen oder Unlustgefühlen als Reaktion auf die Verletzung des Körpers oder die Beschädigung der Gesundheit. Vielmehr stellt die Einbuße der Persönlichkeit, der Verlust an personaler Qualität infolge schwerer Hirnschädigung schon für sich einen auszugleichenden immateriellen Schaden dar, unabhängig davon, ob der Betroffene die Beeinträchtigung empfindet.
Der Bundesgerichtshof sieht in diesen hirnorganischen Schäden eine eigenständige Fallgruppe, bei der die Zerstörung der Persönlichkeit durch den Fortfall der Empfindungsfähigkeit geradezu im Mittelpunkt steht und deshalb auch bei der Bemessung der immateriellen Entschädigung einer eigenständigen Bewertung zugeführt werden muss, die der zentralen Bedeutung dieser Einbuße für die Person gerecht wird.
Die höchsten Schmerzensgelder in Deutschland werden für Schädigungen des Gehirns bezahlt. Der immaterielle Ersatz bewegt sich je nach schwere der Schädigung zwischen 300.000,- und 800.000,- Euro. Sehr viele Entscheidungen sprechen 500.000,- Euro zu. Dieser Betrag war viele Jahre eine Art magische Zahl, gleichsam eine Obergrenze für schwere Hirnschäden. Mittlerweile werden auch Schmerzensgeldbeträge jenseits der halben Millionen zugesprochen.
Schwerste Hirnschädigung
Opfer: Kind
Grund: Behandlungsfehler bei Infusion
Das Kind wurde im Kleinkindalter wegen einer Lungenentzündung in einer Klinik behandelt. Es hatte gerade gegessen und von der Kinderkrankenschwester eine Infusion erhalten. Die Kinderkrankenschwester hätte warten müssen, bis das Kind aufgegessen hat. Da sie das nicht getan hat, hat sich das Kind verschluckt, Essensreste sind in den Rachen geraten. Das Kind musste wiederbelebt werden. Aufgrund des Sauerstoffmangels ist es absolut schwerstgeschädigt und wird sein Leben lang auf fremde Hilfe angewiesen sein. Es hat Pflegegrad 5 und ist zu 100 Prozent schwerstbehindert.
Durch die Sauerstoffunterversorgung hat das Kind eine schwerste hypoxische Hirnschädigung erlitten, Lähmungen, Epilepsie, Intelligenzverminderung, Verlust der aktiven Sprache, Schädigung der Augen, Schädigung der Hüfte und Wirbelsäule und Schluckstörungen.
Das Landgericht Limburg hat dem schwerstgeschädigten Kind ein so hohes Schmerzensgeld zugesprochen, weil dem Kind jegliche Aussicht auf ein normales Leben genommen worden ist. Auf eine normale Kindheit, auf ein normales Erwachsenenalter, auf einen normalen Kindergartenbesuch, auf einen normalen Schulbesuch, einfach auf alles.
Kommentar/ Besonderheiten
Eine Besonderheit der Entscheidung: die Eltern des Klägers haben ein Schmerzensgeld von mindestens 500.000 € beantragt. Das Gericht ist darüber hinaus gegangen und hat diesen Mindestbetrag verdoppelt. Das darf ein Gericht. Der Bundesgerichtshof erlaubt diese Vorgehensweise. Leider machen nicht viele Gerichte davon Gebrauch.
Weiterführende Informationen
Betrag*1
1.000.000 €
Zum ersten Mal ist in Deutschland im Juni 2021 die Millionengrenze überschritten worden
Fundstelle:
Limburg, Urteil vom 28.06.2021 – 1 O 45/15
Schwere Gehirnschädigungen
Opfer: 17-jähriger Patient
Grund: fehlerhaftes Beatmungsgerät
Aufgrund eines fehlerhaften Beatmungsgerätes (voll beherrschbares Risiko!) ist bei einer harmlosen Operation ein zu diesem Zeitpunkt 17-jähriger schwerstgeschädigt worden. Aufgrund der schweren Gehirnschädigungen muss er seither Rund-um-die-Uhr betreut werden.
Er ist zu einem selbstbestimmten Leben nicht mehr in der Lage und hat seine Persönlichkeit verloren. Das Gericht hatte bei der Schmerzensgeldbemessung den in der Einleitung dieser Tabelle angesprochenen Punkt der aktuell (und langfristig) niedrigen Zinsen berücksichtigt. Die extreme Niedrigzinsphase führt dazu, dass mit dem Schmerzensgeldkapital kein Zinsgewinn mehr erzielt werden kann.
Kommentar/ Besonderheiten
Konnte früher das Kapital so angelegt werden, dass mit einem Zinsfuß von 5 Prozent bei 500.000 € monatlich 2000 € erzielt werden konnten, so ist heutzutage bei einem Zins von 0,1 Prozent eine monatliche Rendite von 41,66 € nicht mehr nennenswert. Deshalb muss das Schmerzensgeld erhöht werden.
Dass das Gericht diesen Gedanken umgesetzt hat, ist sehr zu begrüßen. Es ist auch zu begrüßen, dass das Gericht mit diesem Schmerzensgeldbetrag eines der höchsten Schmerzensgelder in Deutschland ausgeurteilt hat. Bald wird das Schmerzengeldkapital nicht nur von der Geldentwertung, sondern auch von Strafzinsen attackiert werden.
Wird das Schmerzensgeldkapital für den Rest des Lebens durch eine durchschnittliche Inflation von 2% und 0,3 % Strafzinsen angegriffen, ergeben sich 2,3 % Verlust. Berechnet auf die durchschnittliche statistische Lebenserwartung nach der Sterbetafel sind das -377.269,61 Euro, die dem Kapital abgezogen werden müssen. Wenn das Gericht auf einen Schmerzensgeldbetrag von 500.000 € die Geldentwertung vollständig aufschlagen wollte, hätte es also fast 900.000 € zusprechen müssen.
Unter Berücksichtigung der zusätzlichen Erwägung, dass heutzutage immer höhere Schmerzensgelder zugesprochen werden, hätte das Gericht auch einen immateriellen Ersatz in Höhe von 1 Million € erwägen können.
Weiterführende Informationen
Betrag*1
800.000 €
Fundstelle:
LG Gießen, Urteil vom 06.11.2019 – 5 O 376/18
Hirnschädigung aufgrund verspäteter Diagnose einer tuberkulösen Meningitis
Opfer: Kind
Grund: grober Behandlungsfehler
Das Gericht stellte für die mit zweieinhalb Jahren von einem groben Behandlungsfehler Schwerstgeschädigte einen Kompensationsbetrag in Höhe von 700.000 € zur Verfügung. In der Begründung gab sich das Gericht sehr große Mühe darzustellen, dass dem Kind dauerhaft jegliche Möglichkeit einer körperlichen und geistigen Entwicklung genommen worden ist. Es wird das ganze Leben in erheblichem Umfang pflegebedürftig bleiben und sich in regelmäßigen Abständen gravierenden stationären Behandlungsmaßnahmen, teilweise sogar operativen Eingriffen, unterziehen müssen.
Kommentar/ Besonderheiten
Das Gericht hat den physiotherapeutischen Bericht der integrativen Kindertagesstätte zugrunde gelegt, um den bedrückenden gesundheitlichen Zustand in dem Urteil darzulegen: das mehrfach behinderte Kind ist durch die umfangreiche Entwicklungsstörungen auf dem Niveau eines 3-4 Monate alten Kindes verblieben. Es wird per Sonde künstlich ernährt. Es kann nicht sprechen. Es braucht in allen Lebensbereichen die Unterstützung einer Pflegeperson. Es kann seine Körperlage nicht selbstständig ändern. Es hat ständig Schmerzen.
Die zentrale Steuerung der Körpertemperatur ist gestört, sodass es außergewöhnlich schnell auskühlt. Die Belüftung der Lungen ist deutlich reduziert. Jeder bronchiale Infekt bedeutet ein gesundheitliches Risiko. Auch die Regulierungsverzögerung der Gegenseite führte zu einer Erhöhung des Schmerzensgeldes. Diese hat vorgerichtlich trotz eindeutiger Begutachtungsergebnisse kein Anerkenntnis dem Grunde nach abgegeben, keine Teilzahlung geleistet.
Weiterführende Informationen
Betrag*1
770.000 €
Fundstelle:
LG Aachen, Urteil vom 30.11.2011 – 11 O 478 /09
Tetraspastik (Spastik an allen vier Gliedmaßen)
Opfer: Viereinhalbjähriges Kind
Grund: Narkoseschaden
Bei der Operation einer Viereinhalbjährigen wurde diese Opfer eines Narkoseschadens mit der Folge des Wachkomas (apallisches Syndrom). Die Klägerin muss mit einer Sonde ernährt werden. Sie ist auf ständige Pflege angewiesen und leidet an einer Tetraspastik (Spastik an allen vier Gliedmaßen).
Kommentar/ Besonderheiten
Das Kammergericht spricht den absolut entscheidenden Punkt an. Sind hirnorganische Schäden innerhalb der "normalen" Schmerzensgeldrechtsprechung ein Sonderfall, so ist zunehmend die Meinung im Vordringen, dass sich bei den hirnorganischen Schädigungen eine Untergruppe schmerzensgelderhöhend abhebt. Es kommt nämlich darauf an, ob der Geschädigte seinen Zustand erfassen kann.
Das Kammergericht ist der Auffassung, dass es ausreicht, dass nicht ausgeschlossen werden kann, dass der Betroffene eine Erinnerung an seinen früheren Zustand hat und die Beschränktheit und Ausweglosigkeit der jetzigen Situation in gewisser Weise erfassen kann.
Das Gericht lässt es ausreichen, dass nicht auszuschließen ist, dass eine wenn auch noch so rudimentäre Erinnerung an das frühere Leben besteht und die jetzigen Einschränkungen in irgendeiner Form dem Geschädigten bewusst sind, stellt dieses eine Abweichung von dem sogenannten "Geburtsschadensfällen" dar und rechtfertigt ein höheres Schmerzensgeld, nämlich 650.000 €, die wegen der Geldentwertung auf 703.000 € „angewachsen“ sind.
Weiterführende Informationen
Betrag*1
703.000 €
Fundstelle:
KG (Berlin), Urteil vom 16.02.2012 – 20 U 157/10
Beidseitige Erblindung
Opfer: Patient
Grund: grober Behandlungsfehler
Der durch einen groben Behandlungsfehler schwerstgeschädigte Kläger ist beidseitig erblindet, mit 100-prozentiger geistiger Behinderung, Gesichtslähmungen, Lähmung der Gliedmaße, hinzu kommen Kontrakturen (Versteifung) aller (!) Gelenke, dadurch leidet er unter ständigen Schmerzen.
Kommentar/ Besonderheiten
Er ist ein Pflegefall und benötigt Rund-um-die-Uhr (24 Stunden) an 365 Tagen Intensivpflege. Seine Lebensperspektive ist im Alter von 21 Jahren vollständig zerstört worden. Das Oberlandesgericht hat das vom Landgericht zugesprochenen Schmerzensgeld ausdrücklich gebilligt.
Weiterführende Informationen
Betrag*1
576.000 €
Fundstelle:
OLG Frankfurt, Urteil vom 31.1.2017 – 8 U 155 /16
Lähmung und Wachkoma
Opfer: Patientin
Grund: Missglückte Mandeloperation
Nach einer missglückten Mandeloperationen erlitt die Klägerin aufgrund Sauerstoffmangels so schwerwiegende Beeinträchtigungen, dass sie an allen vier Gliedmaßen gelähmt ist und im Wachkoma liegt (apallisches Syndrom).
Dies erfordert eine fortwährende 24-stündige Überwachung. Die Klägerin war vor dem Behandlungsfehler ein gesundes Kind im Alter von fünf Jahren. Sie ist nunmehr eine völlig hilflose Person, die ihr Leben lang auf die Hilfe Dritter angewiesen sein wird. Sie kann weder selbständig Nahrung zu sich nehmen, sodass sie künstlich mit einer Sonde ernährt werden muss, noch kann sie sich selbstständig bewegen.
Kommentar/ Besonderheiten
Das Gericht sagte wörtlich: „die Persönlichkeit der Klägerin, die auch bei einem 5-jährigen Kind schon entwickelt ist, wurde vollständig zerstört. Der Klägerin wurde die Möglichkeit der weiteren Entwicklung ihrer Persönlichkeit und der Führung eines normalen Lebens genommen. Bemerkenswert ist: die Eltern der Klägerin hatten einen Mindestbetrag von 500.000 DM (255.645,94 €) beantragt.
Die Kammer sah sich nicht an das beantragte Schmerzensgeld gebunden und ist aufgrund des Ausmaßes der Schädigungen deutlich über das beantragte Schmerzensgeld hinaus gegangen. Es hat den Betrag verdoppelt.
Denn auch bei eingeschränkter kaum noch vorhandener Wahrnehmungsfähigkeit vermag das Schmerzensgeld dem Geschädigten dennoch einen gewissen Ausgleich zu verschaffen, in dem der Geschädigte zumindest die bestmögliche Versorgung und Betreuung zuteil werden kann und somit wenigstens für das körperliche Wohlbefinden gesorgt ist, so das Gericht.
Weiterführende Informationen
Betrag*1
620.000 €
Fundstelle:
LG Mannheim, Urteil vom 13.2.2004 -3 U 247 /03
Schwere Schädigung des Gehirns
Opfer: Patientin
Grund: ärztlichen Behandlungsfehler
Aufgrund eines groben ärztlichen Behandlungsfehlers leidet die Klägerin an einer schweren Schädigung des Gehirns. Sie ist an allen vier Gliedmaßen gelähmt, hat eine zentrale Sehstörung und eine Wirbelsäulenverkrümmung, die zu Atemproblemen führt. Sie kann nicht kommunizieren.
Aufgrund der Sehstörungen kann sie ihre Umgebung nicht wahrnehmen. Aufgrund der schweren Hirnschädigung ist der Klägerin von Beginn ihres Lebens an jede Möglichkeit zu einer Entwicklung in normalen und glücklichen Bahnen genommen worden. Sie ist zu einem Leben in Dunkelheit, Bewegungslosigkeit, Passivität und weitestgehende Hilflosigkeit sowie Hilfsbedürftigkeit gezwungen.
Kommentar/ Besonderheiten
Das ausgeurteilte Schmerzensgeld ist zu gering. Die Schilderung der extremen Lebensbeeinträchtigungen passt nicht zu dem ausgeurteilten Betrag, selbst dann nicht, wenn – wie hier – weitere Schmerzensgeldforderungen für die Zukunft ausnahmsweise nicht ausgeschlossen sind (immaterieller Vorbehalt).
Weiterführende Informationen
Betrag*1
400.000 €
Fundstelle:
LG München I, Urteil vom 10.3.2003 – 9 O 6490 /96
Schwere Hirnschädigung
Opfer: Patient
Grund: nicht erkannter Herzinfarkt
Aufgrund eines behandlungsfehlerhaft nicht erkannten Herzinfarktes und der dadurch eingetretenen Sauerstoffunterversorgung hat der Kläger eine schwere Hirnschädigung und somit extreme Gesundheitsbeeinträchtigungen erlitten. Es liegt eine spastische Lähmung aller vier Extremitäten vor, die Ernährung des Klägers erfolgt mit Tee und Flüssigkeit über eine PEG-Sonde.
Zu Wortäußerungen oder dem sicheren Fixieren von Personen und Gegenständen ist der Kläger nicht in der Lage; eine Kontaktaufnahme mit ihm ist nicht möglich. Allerdings reagiert der Kläger auf laute Ansprache oder taktive Reize sehr schmerzhaft. Dies wiederum erschwert die tägliche körperliche Pflege, da der Kläger auf jede Berührung mit Abwehrspannung reagiert. Der Kläger ist auf eine komplette Pflege angewiesen. Er muss regelmäßig durch das noch offene Tracheostoma abgesaugt werden, um nicht an der eigenen Bronchialschleimbildung zu ersticken.
Kommentar/ Besonderheiten
Vor dem Behandlungsfehler war der Kläger ein 34-jähriger, im Erwerbsleben stehender Familienvater. Nunmehr ist sein Leben total zerstört. Sein gesamtes Leben ist auf die primitivsten Existenzzustände reduziert. Er ist nicht in der Lage, das Heranwachsen und die Entwicklung seiner beiden kleinen Kinder zu verfolgen und zu begleiten.
Er ist zu einem Leben praktisch vollkommener Hilflosigkeit und Hilfsbedürftigkeit gezwungen. Zu berücksichtigen ist ferner, dass der Kläger offensichtlich zu Empfindungen in der Lage ist, wobei er insbesondere auf lautes Ansprechen sowie Berührungen schreckhaft reagiert.
Weiterführende Informationen
Betrag*1
291.000 €
Fundstelle:
LG München I, Urteil vom 28.5.2003 – 9 O 14993 /99