Das Problem:
Der Bundesgerichtshof hat vor folgendem Hintergrund ein sehr interessantes Urteil für Arzthaftungsfälle gefällt: als Schockschäden werden solche psychischen Beeinträchtigungen bezeichnet, bei denen ein Dritter durch das direkte Miterleben eines Unfalls und den Tod eines nahen Angehörigen über das übliche Maß an Schmerz, Trauer und Depression hinaus beeinträchtigt wird. Als Fernwirkungsschaden wird diese Konstellationen benannt, wenn der psychische Schaden durch den Erhalt einer Unfallnachricht ausgelöst wird. Der Bundesgerichtshof hat allerdings gesagt, dass das direkte Miterleben eines Unfalls ein höheres Schmerzensgeld auslösen muss, als der Erhalt einer Unfallnachricht. In diesem Fall ging es darum, dass ein Motorradfahrer mit ansehen musste, wie seine Ehefrau auf ihrem Motorrad von einem Auto tödlich getroffen worden ist.
Die Entscheidung:
Der inzwischen verstorbene Ehemann der Klägerin hatte nach einer Darmspiegelung eine Darmperforation (Durchlöcherung) erlitten. Diese zieht naturgemäß immer eine lebensbedrohliche Entzündung des Bauchraumes/ Bauchfells nach sich. So ist zwar die Perforation des Darms per se nicht unbedingt ein Behandlungsfehler. In diesem Fall stellten jedoch sowohl ein Privatgutachten als auch ein Gutachten des MDK grobe Behandlungsfehler in der Nachbehandlung der Entzündung fest.
Aufgrund der Behandlung entgegen den Facharztstandards hat der Ehemann der Klägerin mehrere Wochen in akuter Lebensgefahr geschwebt, weshalb sie massive psychische Beeinträchtigung in Form eines depressiven Syndroms mit ausgeprägten psychosomatischen Beschwerden und Angstzuständen erlitten hat. Aus diesem Grunde verlangt die Klägerin von dem beklagten Krankenhausträger Schmerzensgeld.
Das Oberlandesgericht Köln hat einen Anspruch verneint, weil sich der Patient aufgrund der Durchlöcherung des Darms ohnehin schon in einem lebensbedrohlichen Zustand befand. Die fehlerhafte Behandlung habe nur zu einer weiteren Verschlechterung des Gesundheitszustandes geführt.
Der Bundesgerichtshof hat nun festgestellt, dass die Grundsätze seiner Rechtsprechung zu Schockschäden bei Unfällen auch bei Gesundheitsverletzungen durch fehlerhafte ärztliche Behandlungen anwendbar sind und keine Rechtfertigung dafür ersichtlich ist, die Ersatzfähigkeit von Schockschäden im Falle ärztlicher Behandlungsfehler zurückhaltender zu behandeln, als im Falle von Unfallereignissen.
„Zu beachten ist allerdings, dass ein Anspruch auf das neu eingeführte Hinterbliebenengeld nicht besteht, wenn ein Gericht Schmerzensgeld wegen eines Schockschadens oder Fernwirkungsschadens zuspricht“, sagt Patientenanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Dr. Lovis Wambach.
Die komplette Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom ein 20. Mai 2019 VI ZR 299 /17 können Sie hier als PDF Datei (170 KB) herunterladen: