Der Sachverhalt ist tragisch: Die zum Zeitpunkt des Badeunfalls zwölfjährige Klägerin macht gegen die beklagte Gemeinde immateriellen und materiellen Schadensersatz wegen eines Badeunfalls in einem von der Gemeinde betriebenen künstlichen Badesee geltend. Der Badesee ist naturnah gestaltet. Das Wasser ist trüb. Das Hauptbecken des Schwimmbads beinhaltet einen etwa neun Meter breiten und 16 Meter langen Schwimmerbereich, in dem die Wassertiefe mehrere Meter beträgt. An dessen westlicher Seite befindet sich ein Sprungfelsen mit einem umgebenden Sprungbereich. Dieser ist von dem übrigen Schwimmareal mittels orangfarbener Bojen abgegrenzt, deren Durchmesser etwa 15 cm beträgt. Beim Baden verfing sich das Mädchen aus ungeklärten Umständen mit einem Arm in der Befestigungsschnur einer Boje, die hierdurch zumindest teilweise unter die Wasseroberfläche gezogen wurde. Nachdem die Badeaufsicht bemerkt hatte, dass die Boje abgesenkt war, befragte sie, weil das in der Vergangenheit vorgekommen war, zunächst zwei Kinder, ob sie das Befestigungsseil verknotet hätten, was diese verneinten. Daraufhin bat die Aufsichtsperson einen damals 13 oder 14 Jahre alten Jungen, zu der Boje zu schwimmen und nach der Ursache der Absenkung zu schauen. Als dieser wegen des trüben Wassers nur „etwas Glitschiges“ feststellen konnte, holte einer der beiden Bademeister zunächst seine Schwimmbrille aus dem Gerätehaus, begab sich sodann ebenfalls in das Wasser, überprüfte die Boje und fand die leblose Klägerin unter Wasser vor. Er befreite sie aus dem Befestigungsseil und verbrachte sie an Land, wo sie reanimiert wurde.
Aufgrund des Sauerstoffmangels erlitt die Klägerin massive, irreparable Hirnschädigungen. Sie ist infolgedessen schwerstbehindert und wird zeitlebens pflegebedürftig bleiben. Sie wohnt mittlerweile in einem Pflegeheim.
Die Klägerin, vertreten durch ihre Eltern, vertritt die Meinung, dass sie nicht schnell genug gerettet worden sei und eine schnellere Rettung möglich und sachgerecht gewesen wäre. In den ersten beiden Instanzen (Landgericht und Oberlandesgericht) ist sie gescheitert. Die Instanzengerichte waren der Meinung, dass es keine Pflicht der Badeaufsicht gebe, jeden Schwimmer ständig zu beobachten. Außerdem habe die Klägerin lange unter Wasser gelegen. Sie habe nicht beweisen können, dass ihre schwerste Hirnschädigung bei früherer Rettung ausgeblieben wäre.
Der Bundesgerichtshof hat das Urteil aufgehoben und die Pflichten der Badeaufsicht wie folgt konkretisiert:
Die zur Badeaufsicht in einem Schwimmbad eingesetzten Personen sind verpflichtet, den Badebetrieb und damit auch das Geschehen im Wasser zu beobachten und mit regelmäßigen Kontrollblicken darauf zu überprüfen, ob Gefahrensituationen für die Badegäste auftreten. Dabei ist der Standort der Beobachtung so zu wählen, dass der gesamte Schwimm- und Sprungbereich überwacht und auch in das Wasser hineingeblickt werden kann. In Notfällen ist für rasche und wirksame Hilfeleistung zu sorgen.
Eine rasche Rettung der Klägerin wäre nach Meinung des Bundesgerichtshofs bei sachgerechtem Verhalten innerhalb von drei Minuten durchaus möglich gewesen. Mit den eingetretenen Gehirnschäden (so der Sachverständige) wäre aber erst nach Ablauf von drei Minuten zu rechnen gewesen. Der Bundesgerichtshof hat den Rechtsstreit an das Oberlandesgericht zurückverwiesen. Es muss nun klären, wie schnell eine Rettung genau möglich gewesen wäre.
Außerdem ist dann die Frage der Kausalität zu klären, also die Frage, ob die Gesundheitsschäden der Klägerin auch bei Rettung gemäß den Rettungsstandards eingetreten wären.
Wie im Arzthaftungsrecht, so der Bundesgerichtshof, seien auch im Falle einer grob fahrlässigen Verletzung der Verpflichtung zur Überwachung eines Schwimmbadbetriebs die Regeln der Beweislastumkehr anwendbar.
„Man sollte bei mehreren nicht groben Pflichtverletzungen immer überprüfen, ob sich gute Argumente finden lassen, mit denen man bei einer Gesamtschau einen groben Fehler darstellen kann“, sagt Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Dr. Lovis Wambach, „würde das Gericht beispielsweise bei den Pflichtverletzungen, zuerst einen Jungen mit dem Tauchgang zu beauftragen und sodann die Schwimmbrille erst holen zu müssen, jeweils nur eine nicht grobe Pflichtverletzung angenommen haben, könnten diese Pflichtverletzungen dann zumindest in der Gesamtschau als grob fehlerhaft bewertet werden, so dass zugunsten der Schwimmerin die Beweislastvorteile greifen.“
Das vollständige Urteil des Bundesgerichtshofs vom 23.11.2017 – III ZR 60/16 können Sie hier als PDF (160 KB) herunterladen: