Skiunfälle

Fachanwalt für Verkehrsrecht

Skiunfall - wer haftet?

Das Wichtigste zu Skiunfällen nebst den grundlegenden Gerichtsurteilen

1. Skiunfälle sind Personenschäden

Nicht nur der Straßenverkehr birgt erhebliche Risiken, auch die Piste hinterlässt eine Vielzahl von schwer verletzten Skifahrern und Snowboardern. Hier sind dann wie bei Verkehrsunfällen oder medizinischen Behandlungsfehlern Personengroßschäden abzuwickeln, mit den gleichen Verletzungsfolgen (Knochenbrüche, Schädel-Hirn-Traumata, Querschnittlähmungen) und Schadensfolgen: Es stellt sich das Problem von Folgeschäden und Dauerschäden. Die Ansprüche auf Schmerzensgeld, Erwerbsschaden (Verdienstausfall), Haushaltsführungsschaden, Pflegekosten und vermehrte Bedürfnisse müssen im Sinne des Verletzten angemessen reguliert werden.

2. Der Gerichtsstand ist oft in Deutschland

Interessant ist folgende Besonderheit beim Gerichtsstand bei Skiunfällen: wenn beide an einem solchen Unfall Beteiligte ihren Wohnsitz in Deutschland haben, ist deutsches Recht anzuwenden und der Rechtsstreit bei einem deutschen Gericht – nämlich am Wohnsitz des Beklagten – zu führen, auch wenn sich der Skiunfall im Ausland zugetragen hat, etwa in Österreich.

3. Die „Skiregeln“ (Die „Skiverkehrsordnung“):

Oftmals sind an den Unfällen zwei oder mehr Skifahrer beteiligt. Die Piste ist zwar keine Straße, jedoch gelten auch hier Regeln, deren Verletzung die Haftung des einen Skifahrers gegenüber dem anderen begründen kann. Die Haftung entsteht dann, wenn zu den unvermeidbaren Risiken des Skifahrens noch weitere schuldhafte Verhaltensweisen hinzutreten. Dazu zählen etwa: das unangepasste Fahrverhalten an die Beschaffenheit des Geländes, der Schneelage oder das fahrerische Können. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat den Sorgfaltsmaßstab in einer älteren Entscheidung treffend zusammengefasst: „der Skifahrer hat sich auf befahrenen Abfahrten grundsätzlich so zu verhalten, dass er keinen anderen gefährdet oder schädigt.“ (BGH, Urteil vom 11.01.1972 – VI ZR 187/70). Das ist die Maxime, die FIS-Regeln sind ihre Konkretisierung. Die FIS-Regeln sind allgemeine Verhaltensregeln des Internationalen Ski-Verbandes FIS für Skifahrer und Snowboarder. Sie sind vergleichbar mit einer Straßenverkehrsordnung.

Nach der Rechtsprechung gilt folgende Faustregel: beachtet ein Skifahrer die FIS-Regeln, ist sein Verhalten im Regelfall nicht pflichtwidrig.

Die FIS-Regeln sind zehn an der Zahl. Nr. 1 hält Skifahrer und Snowboarder an sich so zu verhalten, dass niemand anders geschädigt wird. Nr. 2 gibt vor, dass Geschwindigkeit und Fahrweise sowohl dem Können, als auch dem Gelände-, Schnee- und Witterungsverhältnissen angepasst werden müssen. Nr. 3 betrifft die Wahl der Fahrspur. Danach muss der von hinten kommende Skifahrer seine Fahrspur so wählen, dass er den vor ihm Fahrenden nicht gefährdet. Steht fest, wer der von Hinten Kommende war, so gilt hier der Beweis des ersten Anscheins (Anscheinsbeweis), sodass der Auffahrende beweisen muss, dass ihn an dem Unfall kein Verschulden trifft. Nr. 4 regelt das Überholen. Überholt werden darf von oben oder unten von rechts oder links aber immer nur mit einem genügenden Sicherheitsabstand. Nr. 5 regelt das Einfahren und Anfahren. Jeder Skifahrer oder Snowboarder muss sich nach oben und unten vergewissern, dass er ohne Gefahr ein- und anfahren kann. Nr. 6 regelt das Anhalten. Skifahrer müssen es unbedingt vermeiden, ohne Not an einer engen oder unübersichtlichen Stelle anzuhalten. Sind sie gestürzt, müssen Sie sich so schnell wie möglich entfernen. Nr. 7 gibt vor, dass ein Skifahrer der auf- oder absteigt, den Rand der Fahrbahn benutzen muss. Nr. 8 ordnet an, dass die Markierungen und Signale beachtet werden müssen. Nr. 9 verpflichtet Skifahrer und Snowboarder zu Hilfeleistungen bei Unfällen. Nr. 10 konkretisiert diese Pflicht, in dem aufgegeben wird, dass Beteiligte oder Zeugen eines Unfalls die Personalien angeben müssen.

4. Das Rücksichtnahmegebot (FIS-Regel Nr. 1)

Grundsätzlich hat sich jeder Skifahrer so zu verhalten, dass er keinen anderen gefährdet oder beschädigt, weil der Skisport sehr gefährlich ist. In einer Entscheidung des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 26.06.1975 -9U 75 /74 wird dies exemplarisch vorgeführt. Der Fall ist sehr tragisch, weil die geschädigte Skifahrerin so schwer geschädigt worden ist, wie typischerweise ein Motorradfahrer nach einem schweren Verkehrsunfall: Sie hat eine Querschnittlähmung erlitten mit allen Folgen, samt Inkontinenz. Das Leben ist zerstört. Der Fall konnte nicht restlos aufgeklärt werden. So ungefähr muss es sich aber zugetragen haben: ein Ehepaar stand auf einem Flachstreifen vor einem stark vereisten Steilhang. Ein anderer Skifahrer kam zu Fall und rutschte gegen die Frau. Dabei gerieten die Skier und Stöcke der beiden ineinander und verhedderten sich. Während sie auf dem Steilhang lagen, schlug die Frau vor, die Skier abzumachen. Der Mann jedoch zog seine von ihr Skier weg. Daraufhin rutschte die Klägerin den vereisten Steilhang hinunter, prallte mit dem Nacken an einem Baum und erlitt eine Querschnittlähmung.

Den Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot sah das Gericht in Folgendem: durch das Rutschen gegen die Skifahrerin und deren anschließenden Sturz hat der Skifahrer eine gefährliche Situation herbeigeführt. Jede unkontrollierte Bewegung auf dem 1 m breiten Flachstreifen war geeignet, eine Abrutschbewegung auszulösen. Der Wunsch der Skifahrerin, zunächst die Skibindung zu lösen, war sachgemäß und vernünftig. Mit der unbedachten Handlungsweise seine eigenen Ski herauszuziehen, hat der Beklagte die erforderliche und zumutbare Sorgfalt verletzt, zu deren Beachtung er ganz besonders deswegen verpflichtet war, weil er die die gefährliche Situation selbst geschaffen hatte, indem er die Geschädigte zu Fall gebracht hatte. Hätte der Skifahrer sich vernünftig und besonnen verhalten, hätten beide aufstehen können, ohne dass es zu einem Schaden gekommen wäre.

Kollidieren zwei Skifahrer miteinander, die beide gegen die FIS-Regel-Nr. 1 verstoßen haben, so wird eine Haftungsquote je nach Anteil des Verschuldens gebildet. In einem vom Oberlandesgericht Stuttgart am 19.06.2013 (3 U 1/13) entschiedenen Fall fuhren zwei Skifahrer in den Kreuzungsbereich ihrer beiden Pisten ein. Beide konnten den Bereich gut einsehen. Nach Meinung des Gerichts haben beide es an der für den Skisport notwendigen Rücksichtnahme fehlen lassen. Beide Skifahrer hätten bei der notwendigen Aufmerksamkeit jeweils einander erkennen können. In dem zu entscheidenden Fall gab es jedoch eine Besonderheit, die in der vorzunehmenden Abwägung nicht zu einer hälftigen Teilung des Schadens, sondern zu einer Verteilung nach der Quote von 2/3 und 1/3 des Schadens geführt hat. Derjenige Skifahrer dem der höhere Teil des Schadens auferlegt worden ist war mit einer wesentlich höheren Geschwindigkeit unterwegs gewesen und deswegen ist von ihm auch eine wesentlich höhere Gefahr ausgegangen, die sich gegenüber dem anderen Skifahrer verwirklicht hat, dem aus diesem Grunde der kleinere Teil der Haftung auferlegt worden ist.

5. Beweis der ersten Anscheins zuungunsten des auffahrenden Skifahrers (FIS-Regel 3 = Auffahrunfall)

Die Faustregel lautet: Wer auffährt hat Schuld.

Das Landgericht Oldenburg gibt mit Urteil vom 1.3.1978 – 4 O 4/78 dem Abwärtsfahrenden auf, dass er stets rechtzeitig ausweichen können muss und am Hang  dem Gelände und den Fahrern vor ihm seine ungeteilte Aufmerksamkeit widmet.

Das Landgericht Köln hat in seinem Urteil vom 15.8.2017 -30 O 53 /17 einen Fall zu beurteilen, bei dem es um einem Zusammenstoß von zwei Skifahren ging, wie so oft, war der Sachverhalt nicht gänzlich aufzuklären. Einer der Skifahrer erlitt schwerwiegende Verletzungen. Die Haftpflichtversicherung des anderen regulierte ohne Anerkenntnis einer rechtlichen Verpflichtung mit einer Haftungsverteilung von 50 zu 50, da sie dem Schwerverletzten eine Mitschuld an dem Unfall zuschreiben wollte. Dieser wiederum war der Auffassung, dass der andere Skifahrer zu 100 Prozent haften müsse, weil sich ihm der andere – für ihn nicht wahrnehmbar – von hinten mit hoher Geschwindigkeit genähert habe. Der Unfall sei für ihn deshalb nicht vermeidbar gewesen. Das Gericht ist dieser Ansicht gefolgt, weil der auffahrende Skifahrer gegen die FIS-Regel Nr. 3 verstoßen habe. Der Unfall hat in Österreich stattgefunden. Beide Beteiligte hatten ihren Wohnsitz in Deutschland, sodass das deutsche Gericht am Wohnsitz des Beklagten zuständig war, nämlich das Landgericht Köln. Anzuwenden war deutsches Recht. Für die Beurteilung des Verschuldens waren aber die FIS-Regeln zu berücksichtigen. Danach ist (wie bei einem Autounfall in Deutschland auch) anzunehmen, dass den Auffahrenden die Schuld trifft.

Der Auffahrende muss darlegen, dass ihn an dem Unfall keine Schuld trifft, weil er dem Vorausfahrenden für alle seine Bewegungen genügend Raum gelassen hat und er in vorausschauender Weise mit allen Bewegungen des unten Fahrenden gerechnet hat und zwar auch mit weiten Schwüngen, Schrägfahrten und Bögen und mit großen Radien, sowie jederzeitigen Richtungswechsel. Das Gericht führte zutreffend aus, dass diese Pflichtenstellung im Skisport dazu führt, dass ein Zusammenprall zwischen voranfahrenden und hinterherfahrenden Skifahrer typischerweise auf einem Fehlverhalten des Hinterherfahrenden beruht, woraus folgt, dass dann der erste Anschein ein Verschulden des hinterherfahrenden Skifahrers annehmen lässt.

Diesen Beweis des ersten Anscheins kann der Auffahrende widerlegen. Das ist in diesem Fall nicht gelungen. Im Gegenteil: die Aussage des auffahrenden Skifahrers war dermaßen widersprüchlich, dass sie auch dann nicht geeignet gewesen wäre, eine Haftungsquote zu Ungunsten des Klägers herbeizuführen, wenn kein Anscheinsbeweis hätte bekämpft werden müssen.

Auch das Landgericht Frankenthal hat sich mit seinem Urteil vom 22.5.2015 3 O 271 / 14 mit der FIS-Regel Nr. 3 auseinandergesetzt. Hier hätte der Anscheinsbeweis nur dann entkräftet werden können, wenn der Vorausfahrenden ein ungewöhnliches oder plötzlich verändertes Schwungverhalten gezeigt hätte, was nicht der Fall war. Damit verblieb es beim Anscheinsbeweis und der Haftung des Auffahrenden.

Das Oberlandesgericht Koblenz hat mit Beschluss vom 2.3.2011 – 5 U 1273 /10 postuliert, dass der Abstand des Hinterherfahrenden so großzügig bemessen sein muss, dass der Vorausfahrende für alle Bewegungen genügend Raum habe.

Ohnehin ist es außerordentlich schwer gegen einen schon vorliegenden Anscheinsbeweis anzukämpfen. In dem vom Oberlandesgericht München vom 3.11.2016 -3 U 2750 / 16 entschiedenen Fall hatte der Beklagte zur Entkräftung des Anscheinsbeweises vorgetragen, dass er als Hinunterfahrender dem Vorausfahrenden noch gesehen habe wie er ohne Richtungsänderung schräg diagonal gefahren sei. Damit kam es schon überhaupt nicht mehr darauf an, ob der Hinunterfahrende seinen Vortrag beweisen kann. Denn schon nach seinem eigenen Vortrag hat der Vorausfahrende weder plötzlich noch vollkommen unerwartet die Richtung geändert. Er hat sie überhaupt nicht geändert. Damit musste es beim Anscheinsbeweis verbleiben, weil der Hinunterfahrende den Verstoß gegen die Regel vor Gericht eingestanden hat, vermutlich ohne es selbst zunächst überhaupt zu bemerken.

Allerdings muss für die Anwendbarkeit des Anscheinsbeweises ein typischer Geschehensablauf feststehen, also ein Sachverhalt, bei dem nach der Lebenserfahrung auf das Hervorrufen einer bestimmten Folge oder die Verursachung durch ein bestimmtes Verhalten geschlossen werden kann.

Der Sachverhalt muss also entweder unstreitig (durch den Sachvortrag beider Parteien belegt) oder durch Vollbeweis bewiesen sein. Kann nach einer Kollision nicht festgestellt werden welcher von beiden Skifahrern vorausgefahren und welcher nachgefolgt ist, kann die Rechtsfigur des Anscheinsbeweises nicht greifen. Die bloße Kollision zweier bei gemeinschaftlicher Abfahrt kollidierenden Skifahrer, die von keinen Zeugen beobachtet worden ist und die die Beteiligten vollkommen unterschiedlich schildern, führt zu einer Unaufklärbarkeit, die eine Haftung der einen oder anderen Partei nach ganz allgemeinen prozessrechtlichen Grundsätzen nicht zu begründen vermag (Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Urteil vom 28.08.2012 – 11 U 10/12).

6. Überholen nur mit großzügigem Sicherheitsabstand (FIS-Regel Nr. 4)

Die FIS-Regel Nr. 4 gibt vor, dass nur mit allergrößten Sicherheitsabstand überholt werden darf und auch mit größtmöglicher Rücksichtnahme. Der nachkommende, schnellere Fahrer muss grundsätzlich mit allen Seitenbewegungen des Vorausfahrenden rechnen auch ein plötzlicher Schwung oder selbst ein Sturz des Vorausfahrenden ist im Allgemeinen keine so ungewöhnliche Bewegung, dass ein Nachfahrender damit nicht rechnen müsste. Diese Regel ist mit Nr. 3 zusammen zu sehen. Und auch bei Unfällen unter Verstoß gegen die FIS-Regel Nr. 4 im Zusammenhang mit einem Überholmanöver spricht der Beweis des ersten Anscheins für die Nichteinhaltung des gebotenen Abstandes. Der Auffahrende muss also darlegen, dass auch unter Einhaltung eines ausreichenden Sicherheitsabstand der Unfall unausweichlich gewesen wäre oder das Verhalten des Vorausfahrenden so ungewöhnlich und unerkennbar gewesen wäre, dass der Unfall unter keinen Umständen hätte abgewendet werden können, also unvermeidbar gewesen wäre. Zur FIS-Regel Nr. 3 ist folgendes Urteil lesenswert: Landgericht Ravensburg, Urteil vom 22.3.2007 – 2 O 292 / 06.

7. Zur Haftungsquote bei einer Kollision zwischen einem Snowboardfahrer und einer Skifahrerin

Wie im Straßenverkehr wird auch im Pistenverkehr die Haftung gequotelt, beispielsweise nach Verschulden. Lässt sich die Haftung nicht feststellen, weil die Ursache der Kollision zweier Skifahrer nicht aufgeklärt werden kann, kommt eine Haftungsquote von 50 zu 50 in Betracht. In dem vom Landgericht Bonn am 21.3.2005 – 1O 484 /04 entschiedenen Fall trafen eine Skifahrerin und ein Snowboardfahrer im Kreuzungsbereich zweier Pisten aufeinander, wobei die Skifahrerin schwere Verletzungen erlitt und mit dem Rettungshubschrauber geborgen werden musste. Der genaue Ablauf der Kollision ließ sich trotz der Vernehmung einiger Zeugen nicht aufklären. Das Gericht hat aber den Schaden nicht hälftig aufgeteilt, sondern dem Snowboardfahrer 60 Prozent Schadensanteil zugesprochen, weil ein Snowboard im Vergleich zu regulären Skiern schwerer ist und wegen einer höheren Aufpralldynamik bei Kollisionen höhere Verletzungsrisiken birgt. Außerdem ist es dem Snowboardfahren spezifisch, dass das Gesichtsfeld eingeschränkter ist, als beim Skifahren, sodass der Snowboardfahrer im Vergleich zum Skifahrer ein erhöhtes Maß an Aufmerksamkeit und Reaktionsbereitschaft auf der Piste aufzubringen hat.

8. Außerhalb der Pisten gilt die Straßenverkehrsordnung / Mitverschuldenseinwand

Fährt ein Skifahrer außerhalb der Skipiste, gelten die Regeln des Straßenverkehrs. Das kann man anhand der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 28.4.2015 – VI Z R 206 /14 ersehen. In diesem Fall querte ein Skifahrer eine Gruppe von Schülern. Einer der Schüler trat nach hinten und warf den Skifahrer um, der zahlreiche Verletzungen erlitt. Der BGH wendete die Straßenverkehrsordnung an. Während die Vordergerichte ein überwiegendes Verschulden des Skifahrers angenommen hatten, sah der Bundesgerichtshof die Sache als noch nicht geklärt an. Er war der Meinung das dem Skifahrer nicht vorgeworfen werden konnte, dass er sich nicht durch Zurufe bemerkbar gemacht habe. Dafür wäre Voraussetzung dass er die drohende Gefahr des Zurücktretenden rechtzeitig hätte erkennen können. Außerdem hätte das Berufungsgericht (OLG) klären müssen ob der zurücktretende Schüler, der seinerseits durch die Gruppe abgelenkt war, auf den Zuruf des Skifahrers überhaupt rechtzeitig hätte reagieren können.

9. Die Haftung der Skischule/ des Skilehrers

Die Wintersportfreude währte nur kurz, nicht einmal eine Stunde. Die Skischülerin wollte das Skilaufen lernen. Mit ihrer Gruppe und dem Skilehrer befuhr sie in ihrer ersten Übungsstunde eine leichte Piste (blau). Diese war an dem Tag viel befahren. 100 m vor der Talstation war die Gruppe stehen geblieben und der Skilehrer wies die Skischülerin an, zu fahren, obwohl von oben andere Skifahrer herannahten. Einer von diesen fuhr der Skischülerin über die vorderen Skier, worauf sie zu Fall kam und sich Verletzungen zuzog. Das Landgericht Deggendorf hat mit Urteil vom 12.11.2014 -22 U 298 /14 die Skischule, bei der der Skilehrer angestellt war, zu einer Schmerzensgeldzahlung verurteilt.

Zur Begründung des Haftungsanspruchs gegen den Skilehrer hat das Gericht ausgeführt, dass der Skilehrer seine Schülerin keine Risiken hätte zumuten dürfen, denen diese mit ihren Fähigkeiten bei den gegebenen Schnee- und Witterungsverhältnissen nicht gewachsen war. Deshalb muss ein sich ordnungsgemäß verhaltender Skilehrer mit seinen Schülern abseits vom allgemeinen Sportbetrieb üben und die Skischülerin den drohenden Gefahren des allgemeinen Sportbetriebes nicht ausssetzen. Stattdessen hat der Skilehrer die Übungsstunde auf einer blauen Piste im allgemeinen Sportbetrieb durchgeführt und das auch noch an einem Tag, an dem die Piste viel befahren war. Damit hat er die Schülerin den drohenden Gefahren des allgemeinen Sportbetriebes ausgesetzt. Er hat dann seine Schülerin sogar noch angewiesen, anzufahren, obwohl sich von oben andere Skifahrer annäherten.

10. Die Verkehrssicherungspflichten des Pistenbetreibers

Wer eine Gefahrenquelle schafft, den trifft die Pflicht, diese Gefahr von anderen abzuwenden (Verkehrssicherungspflicht). Dies folgt aus ganz allgemeinen Grundsätzen und hat mit dem FIS-Regeln nichts zu tun. Was damit gemeint ist, zeigt folgender trauriger Fall eindrucksvoll: Ein Jugendlicher Skifahrer hatte am Vormittag den dritten Platz beim Riesenslalom errungen. Nach der Siegerehrung befuhr er – sehr sportlich in Hocke und Schuss – noch mehrfach die Rennstrecke, die wieder für den normalen Skibetrieb freigegeben worden war. Er prallte nach einer uneinsehbaren Hangkante auf einen Motorschlitten, der weder mit akustischen noch mit optischen Warneinrichtung versehen war. Er erlitt dabei schwerste und dauerhafte Verletzungen, die ihn sein ganzes weiteres Leben in der Zukunft einschränken werden: Schädel-Hirn-Trauma, Doppelbilder, Verlustes Geruchssinns, Verminderung des Geschmacksinns, Aufmerksamkeitsstörungen, Konzentrationsstörungen; für die Zukunft besteht die Gefahr der späteren Epilepsie. Das Oberlandesgericht München hat mit Urteil vom 24.4.2002 – 7 U 4714 /01 den Fahrer und den Halter des Motorschlittens (dem Pistenbetreiber) zum Ersatz des materiellen und immateriellen Schadens (Schmerzensgeld) verurteilt. Allerdings hat das Gericht dem Jungen ein Drittel des Schadens als Mitverschulden auferlegt, weil er nach dem FIS-Regeln Nr. 1 und 2 sein Können nicht dem Gelände angepasst, auch nicht auf Sicht gefahren sei, als er die Hangkante überquerte. Das Oberlandesgericht Stuttgart hat mit Urteil vom 30.11.2009 – 5U 72 /09 folgenden Fall zu entscheiden: Ein Snowboardfahrer, schwer alkoholisiert und ohne Schutzhelm, prallte auf der Piste bei einem Rückwärtsschwung gegen einen nicht mit aufpralldämpfenden Material gesicherten, aber weithin sichtbaren Lichtmast. Er zog sich erhebliche Kopfverletzungen zu. Das Gericht führte aus, dass dem Pistenbetreiber die Pflicht treffe, scharfkantige Stützen von Schleppliften abzupolstern. Ob dies auch für den Lichtmast gelte, der am Rande der Piste postiert war, ließ das Gericht offen, weil der Pistenbetreiber ein Viertel des Schadens von sich aus anerkannt hatte. Die restlichen 75 Prozent muss der Snowboard Fahrer selber tragen, weil ihn ein Mitverschulden trifft. Zwar gebe es auf Pisten keine Helmpflicht und es bestehe auch kein Alkoholverbot, jedoch wären diese Umstände erschwerend zu berücksichtigen. Den Hauptpunkt in der Abwägung der höheren Schadenstragung sah das Gericht aber darin, dass der Snowboardfahrer sein Verhalten nicht so eingerichtet hatte, dass er ständig auf Sicht gefahren wäre, um sich auf Hindernisse einzustellen (FIS-Regel Nr. 2).

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