Der Kläger musste sich einer Prostataoperation unterziehen, in deren Folge er erhebliche Verbrennungen an beiden Gesäßhälften und am Rücken erlitt, die eine sofortige Notoperation und eine spätere Folgeoperation erforderlich machten.
Die Schadensursache war folgende: Wenn sich unter dem Patienten auf dem metallenen und leitfähigen Operationstisch Flüssigkeitsansammlungen bilden, dann kann das dazu führen, dass intraoperativ Verbrennungen auftreten. Bisher hat die Rechtsprechung solche Verbrennungsschäden nicht dem voll beherrschbaren Risiko des Krankenhausträgers zugeordnet. Der BGH hat in seinem lesenswerten Beschluss eine andere Lösung gefunden.
Bei der Rechtsfigur des voll beherrschbaren Risikos handelt es sich um eine Beweiserleichterung für Patienten. Gemäß § 630h Abs. 1 BGB wird ein Fehler von Arzt oder Krankenhaus vermutet, wenn sich ein Risiko verwirklicht hat, dass aus einem voll beherrschbaren Risiko der Behandlerseite stammt. Arzt oder Krankenhaus müssen dann in diesem Fall darlegen und beweisen, warum sie kein Verschulden trifft.
Die grundsätzliche Beherrschbarkeit reicht für ein Eingreifen der Beweislastregel nicht aus; notwendig ist gerade die volle Beherrschbarkeit.
In Betracht kommt die Haftung für medizinische Geräte und Materialien, da Arzt oder Krankenhaus für die Mangelfreiheit, Funktionstüchtigkeit und korrekte Bedienung der Geräte haften. Dieses Risiko ist also voll beherrschbar. In Betracht kommt die Haftung für Infusionssysteme, Narkosegeräte, Röntgengeräte oder Elektrokauter.
Medizinische Geräte, die nach einer Operation im Körper des Patienten zurückbleiben (Tupfer, Klemmen, Bauchtücher) gehören ebenfalls zu den voll beherrschbaren Risiken.
Das gleiche gilt für Lagerungsschäden während einer Operation. Krankenhaus oder Arzt tragen die Beweislast dafür, dass der Patient korrekt auf dem Operationstisch gelagert wurde – und dass dies auch von den Operateuren kontrolliert worden ist. Vorschäden oder körperliche Anomalien sind dabei bei der Operationsplanung und Durchführung von vornherein zu berücksichtigen, soll der Entlastungsbeweis mit Erfolg geführt werden.
In dem Fall, den der Bundesgerichtshof im Revisionsverfahren (Nichtzulassungsbeschwerde) angenommen hat, hat der gerichtliche Sachverständige in seinem schriftlichen Gutachten für das Landgericht Bochum ausgeführt, dass es bei dem Patienten bei ordnungsgemäßer Lagerung überhaupt nicht zu den Verbrennungen hätte kommen können.
Die beiden ersten Instanzen, so der BGH, hätten zu Unrecht keinen Behandlungsfehler angenommen. Sie hätten in Betracht ziehen müssen, dass der Verbrennungsschaden als Lagerungsschaden einzuordnen sei. Lagerungsschäden wiederum gelten als Folge von voll beherrschbaren Risiken, so dass die Behandlerseite sich von der Vermutung des Fehlers entlasten muss.
Dazu wird die Behandlerseite bei der neuen Verhandlung vor dem Berufungsgericht (OLG Hamm) Gelegenheit haben. In der Regel gelingt eine solche Entlastung nicht.
„Wegen der immensen Rechtsvorteile bei der Beweislast lohnt es immer, einen Fall daraufhin zu überprüfen, ob das Rechtsinstitut des voll beherrschbaren Risikos in Betracht kommt; etwa durch das Studium vergleichbarer Fälle“, sagt Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Dr. Lovis Wambach.
Den vollständigen Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 26.09.2017 – VI ZR 529/16 können Sie hier als PDF (KB) herunterladen:
BGH, Beschluss vom 26.09.2017 – VI ZR 529/16
§ 630h Abs. 1 BGB lautet:
(1) Ein Fehler des Behandelnden wird vermutet, wenn sich ein allgemeines Behandlungsrisiko verwirklicht hat, das für den Behandelnden voll beherrschbar war und das zur Verletzung des Lebens, des Körpers oder der Gesundheit des Patienten geführt hat.