Die Gefahr der Verjährung ist im Arzthaftungsrecht groß

Haftung der Rettungsleitdienststelle

In dem vom Bundesgerichtshof (BGH, Urteil vom 08.11.16 – VI ZR 594/15) zu entscheidenden Fall ging es um einen Geburtschaden. Das Kind vertreten durch die Mutter verlangte vom Krankenhausträger Schmerzensgeld und Feststellung des zukünftigen Schadensersatzes wegen einer Behandlung entgegen den Facharztstandards (§ 630a Abs. 2 BGB) und wegen unzureichender medizinischer Aufklärung. Sowohl der Behandlungsfehler, als auch die mangelhafte Aufklärung rechtfertigen im Arzthaftpflichtprozess jeweils schon für sich Schadensersatzansprüche.

Der Knackpunkt des Falls war nun folgender: Schadensersatzansprüche können nicht mehr durchgesetzt werden, wenn sie verjährt sind. Die Verjährung beginnt am Schluss des Jahres in dem der Geschädigte (hier vertreten durch die Mutter und deren Rechtsanwalt) Kenntnis von Schaden und Person des Schädigers erhält. Sie läuft dann drei Jahre.

Der Kläger ist im Jahr 2003 geboren worden. Die Mutter hatte im Jahr 2006 ein umfangreiches Gedächtnisprotokoll gefertigt, in dem sie Kritik an der Geburthilfe und besonders detailliert daran übte, dass sie nicht ordnungsgemäß aufgeklärt worden sei; man hätte ihr eine Schnittentbindung (sectio) anbieten müssen. Damit liegt eine für den Beginn des Laufs der Verjährung ausreichende Kenntnis (verlangt wird eine Kenntnis im Großen und Ganzen) für den Aufklärungsmangel vor. Sie lief bis zum Ende des Jahres 2006. Sodann zählten die drei Jahre der regelmäßigen Verjährungsfrist, nämlich 2007, 2008 und 2009. Silvester 2009 wäre dann Verjährung eingetreten. Die Klage ist jedoch erst im Oktober 2010 eingereicht worden. Damit sind die Ansprüche aufgrund mangelhafter Aufklärung verjährt. Die Klage stützte sich jedoch auch auf Behandlungsfehlervorwürfe. Diese stellen eine eigene Anspruchsgrundlage dar, so dass Aufklärungsfehlervorwürfe und Behandlungsfehlervorwürfe durchaus zu unterschiedlichen Zeitpunkten verjähren können. Dies hat der BGH noch einmal hervorgehoben und für den vorliegenden Fall festgestellt, dass aus dem Gedächtnisprotokoll lediglich die Kenntnis der Aufklärungsversäumnisse zu entnehmen war. Die Vorwürfe der Mutter des Klägers bezüglich der Behandlung ließen nicht auf eine den Lauf der Verjährungsfrist auslösende ausreichende Kenntnis des vom Standard abweichenden ärztlichen Verhaltens (Behandlungsfehler) schließen.
Der Kläger muss sich aber nicht nur das Wissen seiner Mutter zurechnen lassen, sondern auch dasjenige seiner Rechtsanwälte. Diese hatten den gegnerischen Haftpflichtversicherer im Jahre 2007 ausführlich angeschrieben, so dass die Verjährungsfrist zu laufen begonnen hat und die drei Jahre zählen: 2008, 2009 und 2010. Damit wäre eine Klage im Jahre 2010 noch fristgerecht eingereicht worden. Der Bundesgerichtshof hat die Sache jedoch an das Berufungsgericht (OLG Koblenz) zurückverwiesen. Dieses soll prüfen, ob die Rechtsanwälte schon im Jahr 2006 ausreichende Kenntnisse von der Fehlbehandlung hatten. Dies müsste sich die Mutter und wiederum der Kläger als deren Kind zurechnen lassen. Dann wären auch die Ansprüche aufgrund der Fehlbehandlung verjährt.

Das oberste deutsche Zivilgericht prüft dann noch sehr eingehend, ob der Lauf der Verjährung durch Verhandlungen der Parteien gehemmt gewesen ist (erste Hilfsüberlegung), so dass der Anspruch des Kindes auf diese Weise noch hätte durchgesetzt werden können. Es kam aber zu dem Schluss, dass der Berufshaftpflichtversichert im Jahr 2007 die Verhandlungen durch eindeutiges Schreiben abgebrochen habe. Darüber hinaus ist der Bundesgerichtshof der Meinung (zweite Hilfsüberlegung), dass selbst dann, wenn man die Eindeutigkeit des Schreibens des Versicherers in Abrede stellen würde, die Verhandlungen eingeschlafen seien. Es ist nämlich so: Wenn Verhandlungen zum Stillstand kommen, läuft die Verjährungsfrist in dem Augenblick wieder an, in dem der andere Teil spätesten mit einer Antwort redlicherweise hat rechnen können. Gerichte haben hier schon Verhandlungspausen zwischen drei und sechs Monaten für ausreichend erklärt, um die Hemmung der Verjährung enden zu lassen (§ 203 Satz 1 BGB).

„Verjährung ist hochgefährlich“, sagt Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Dr. Lovis Wambach, „Sobald Verjährung droht, muss man losrennen und Himmel und Hölle in Bewegung setzen, um sie zu hemmen, notfalls mit einer Klage, die bei Gericht eingerecht wird, falls der Gegner keine Verhandlungen aufnehmen will.“

Das vollständige Urteil des Bundesgerichtshofs können Sie hier als PDF (160 KB) herunterladen:

BGH, Urteil vom 08.11.16 – VI ZR 594/15

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