Das ist eine Haftungsfalle für Rechtsanwälte: verzichtet ein privat krankenversicherter Geschädigter bei einem Vergleichsschluss auf Ansprüche Dritter, nämlich auch auf die Ansprüche seiner privaten Krankenversicherung (PKV), so muss die Krankenversicherung für Folgeheilbehandlungen der Gesundheitsschäden aus dem Verkehrsunfall nicht mehr aufkommen.
Der aufgrund eines Verkehrsunfalls Geschädigte war privat krankenversichert. Seine private Krankenversicherung kam zunächst für die Heilbehandlungskosten auf. Dann schloss der Geschädigte einen gerichtlichen Vergleich, bei dem er sich mit Zahlung eines weiteren Schmerzensgeldbetrages ohne Vorbehalte als endgültig abgefunden erklärte. Daraufhin lehnte es die Krankenkasse ab, für weitere Heilbehandlungskosten im Zusammenhang mit dem Verkehrsunfall aufzukommen. Als Weiterbehandlung stand jedoch noch aus, in einer Folgeoperation Schrauben und Platten aus dem Knochen zu entfernen.
Der Geschädigte erhob Klage gegen seinen Krankenversicherer, mit dem Ziel dessen Ersatzpflicht feststellen zu lassen. Die Klage scheiterte. Der Geschädigte hatte eigenmächtig auf Ansprüche seiner privaten Krankenversicherung verzichtet, sodass diese nicht mehr gegen den Schädiger vorgehen und ihre Kosten regressieren konnte. Der Versicherer wäre also auf allen Heilbehandlungskosten sitzen geblieben.
Es handelt sich hierbei um einen Anwaltsfehler. Der Anwalt hat bei Abfassung des Vergleichstextes für eine vollständige und richtige Niederlegung des Willens seines Mandanten und für einen möglichst eindeutigen, nicht erst der Auslegung bedürftigen, Wortlaut zu sorgen, sagt der Bundesgerichtshof. Die Rechtsanwältin hätte also darauf hinwirken müssen, dass von einem Vergleichsschluss die Ansprüche Dritter ausgenommen sind. Für einen Fachanwalt der sich im Bereich des Personenschadens tummelt, ist das eine Selbstverständlichkeit. Für einen Allgemeinanwalt, der jeden Fall bearbeiten kann, ist dies eine Haftungsfalle. So hat auch die Anwältin, welche die Klage gegen den Versicherer erhoben hat, gar nicht erkannt, dass der richtige Klagegegner die Anwältin des Vorprozesses gewesen wäre. Dies könnte eventuell auch daran liegen, dass es sich um dieselbe Anwältin gehandelt hat. Aber in einem schlauen Buch hätte sie vor Erhebung der Klage schon nachschauen können. Diese schlauen Bücher gibt es nämlich tatsächlich und wir haben sie alle.
„Die gleichen Gefahren lauern auch bei einem außergerichtlichen Vergleich, auch hier ist sehr wichtig, dass Dritte vom Vergleichsschluss ausgenommen werden“, sagt Rechtsanwalt und Fachanwalt für Verkehrsrecht Rouven Walter, so dass mit folgender Formulierung die Feststellung zukünftiger Ersatzpflicht zu begehren ist nämlich mit der Maßgabe, dass Ersatz zu leisten ist, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder übergehen werden“.
Das vollständige Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 22. November 2018 – 14 O 221/17 können Sie hier als PDF (40 KB) herunterladen:
LG Saarbrücken, Urteil vom 22. November 2018 – 14 O 221/17
Urteil des Landgerichts Saarbrücken aufgehoben (Ergänzung am 21.12.2020)
Man staune: das Oberlandesgericht Saarbrücken hat das Urteil des Landgerichts Saarbrücken unter anderem unter Berufung auf die „Vernunft“ aufgehoben und zwar vollumfänglich. Der Senat hatte schon Zweifel, ob der Versicherte bei Abschluss des Vergleichs überhaupt auf seine Ersatzansprüche wegen unfallbedingter Krankheitskosten verzichtet und dadurch gegen Obliegenheiten verstoßen hat. Das Gericht hat diesen Punkt aber offen gelassen, weil es den Punkt gar nicht für relevant gehalten hat.
Das Gericht hat folgende Überlegungen angestrengt:
Der Vergleich könnte seinem Wortlaut nach dafür sprechen, dass sämtliche Ansprüche für Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft erfasst seien, sodass es den Anschein erwecken könne, dass die Ansprüche des Klägers wegen unfallbedingter Krankheitskosten mit eingeschlossen seien. Das Verständnis einer vergleichsweise vereinbarten Regelung erfordert aber eine sorgfältige Auslegung des Erklärten im Einzelfall, die neben dem Wortlaut der Regelung auch deren Sinn und Zweck, sowie die erkennbaren Interessen der Parteien mit berücksichtigt. Dabei ist im Zweifel anzunehmen, dass die Parteien das Vernünftige gewollt haben (als Jurist staunt man über das in der Juristerei seltene Wort Vernunft). Deshalb ist derjenigen Auslegung der Vorzug zu geben, die zu einer sachgerechten mit Inhalt und Zweck des Gesetzes zu vereinbarenden Regelung gelangt. Die Auslegung des Vergleichs kann deshalb ergeben, dass trotz des scheinbar eindeutigen Wortlauts in Wahrheit eine andere Regelung beabsichtigt war. Der Kläger ging erkennbar nicht davon aus, dass er mit der Abgeltungsklausel auf künftige Behandlungskosten verzichten sollte. Der Versicherer aber aufgrund seines überlegenen Wissens die Bedeutung des Wortlauts des Vergleichs erkannt habe. Dem Kläger als Laien ist kein grobes Verschulden vorzuwerfen. Von ihm kann nicht verlangt werden, dass er die schwierigen Rechtsfragen des Forderungsübergangs versteht, diese waren nämlich nicht einmal seiner Prozessbevollmächtigten bekannt (hübsche Überlegung). Der Kläger hat sich auf den Rat seiner Anwältin verlassen. Es konnte unter den gegebenen Umständen nicht mehr von ihm verlangt werden, als dass er sich an einen Rechtsanwalt wendete und Rat einholt. Er durfte sich auf die Richtigkeit des Rates verlassen. Entgegen der Ansicht des Landgerichts, muss sich der Kläger in diesem Ausnahmefall auch nicht ein mögliches schweres Verschulden seiner Prozessbevollmächtigten zurechnen lassen.
Das Urteil ist sehr sorgfältig ausgearbeitet und auch zu loben. Es ist aber gefährlich, sich darauf gänzlich zu verlassen. Ein Oberlandesgericht ist kein Bundesgerichtshof. Es gibt in Deutschland 24 Oberlandesgerichte. Andere Gerichte können anders entscheiden. Das ist ein Risiko.
„Unsere Kanzlei hält es deshalb trotz dieses Urteils für notwendig, mit einem entsprechenden Vorbehalt dafür Sorge zu tragen, dass keine Ansprüche gegen Privatversicherer verloren gehen, sagt Rechtsanwalt und Fachanwalt für Verkehrsrecht Rouven Walter.
Das vollständige Urteil des saarländischen Oberlandesgerichts Saarbrücken vom 2. Oktober 2019 -5 U 106 / 18 können Sie hier als PDF Datei (KB) herunterladen:
OLG Saarbrücken, Urteil v.02.10.19 -5 U 106/18
Ähnlicher Fall
In einem ähnlich gelagerten Fall hat der Bundesgerichtshof als höchstes deutsches Zivilgericht entschieden, dass ein Rechtsanwalt, wenn er vor Gericht einen Vergleichsvertrag abschließt, die Interessen des Mandanten umfassend nach allen Richtungen wahrzunehmen hat. Er muss ihn vor vermeidbaren Nachteilen bewahren. Der Rechtsanwalt hat die Aufgabe schon durch die Wortwahl seiner Erklärung Klarheit zu schaffen. Er darf es gar nicht erst dazu kommen lassen, dass der Wortlaut zu Zweifeln überhaupt Anlass gibt. Ein Auslegungsrisiko muss er vermeiden, wenn es möglich ist. Den sichersten Weg hält er nur dann ein, wenn seine Erklärungen unmissverständlich sind.
Darin, dass die Abgeltungsklausel nicht ausreichend klar formuliert wurde und der private Krankenversicherer meinte, aus diesem Grunde für Nachbehandlungen des Behandlungsfehlers nicht mehr leisten zu müssen, sah der Bundesgerichtshof eine anwaltliche Standardunterschreitung. Der Rechtsanwalt hätte für diesen Fehler gehaftet. Das hat der BGH in den Gründen sehr ausführlich dargelegt. Dann aber legt er die Abgeltungsklausel des gerichtlichen Vergleichs so aus, dass Ansprüche Dritter von dem Vergleichsvertrag nicht erfasst worden sind, weil im Rahmen des Gerichtsverfahrens Heilbehandlungskosten überhaupt nicht beansprucht worden sind. Im Mittelpunkt standen Haushaltsführungsschaden und Verdienstausfall. Dass mit dem Vergleich auch Ansprüche auf Erstattung künftiger Heilbehandlungskosten abgegolten sein sollten, liegt unter diesen Umständen fern. Hinzu kam, dass im Klageantrag und auch im Urteilstenor des Vorprozesses (richtigerweise) Ansprüche ausgenommen sein sollten, die auf Sozialversicherungsträger und sonstige Dritte übergegangen sind oder künftig übergehen sollten.
Der Bundesgerichtshof ging davon aus, dass eine rechtsgeschäftliche Regelung gegen den tatsächlichen oder den erklärten Willen einer Partei nach rein objektiven Gesichtspunkten (Wortlaut) nicht ausgelegt werden darf. Bei der Auslegung muss der Wille der Parteien berücksichtigt werden. Besteht ein übereinstimmender Wille der Parteien, so ist dieser rechtlich auch dann maßgeblich, wenn er in dem Inhalt der Erklärung keinen oder nur einen unvollkommenen Ausdruck gefunden hat. Das übereinstimmend Gewollte hat Vorrang vor einer irrtümlichen oder absichtlichen Falschbezeichnung; falsa demonstratio non nocet = die falsche Bezeichnung schadet nicht. (Das hat schon das Reichsgericht so gehandhabt. Und zwar 1920 im Haakjöringsköd-Fall, in dem im Vertrag Haifischfleisch (norwegisch Haakjöringsköd) geschrieben stand, die Parteien aber übereinstimmend mit Walfischfleisch handeln wollten).
„Jedem Wort dieses Urteils ist zuzustimmen“, sagt Fachanwalt für Medizinrecht Dr. Lovis Wambach.