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Das Gericht darf Privatgutachten nicht ignorieren

Das Gericht darf Privatgutachten nicht ignorieren

In dem hier vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall ging es um eine Patientin, die seit ihrer Jugend unter einer psychischen Störung litt, die sie zwang, sich selbst zu verletzen, so dass ihr Körper von zahlreichen, teils schweren Narben bedeckt war.

Sie stellte sich einem Arzt für plastische und ästhetische Chirurgie vor und äußerte den Wunsch nach einer Schlupflidkorrektur. In den Anamnesebogen trug sie ein, dass sie unter überschießender Narbenbildung litt. Ohne weitere Abklärung wurde die Operation durchgeführt und hinterließ eine deutlich sichtbare Narbe, welche die Patientin sehr störte. Ohne Erfolg klagte sie in den beiden ersten Instanzen auf Schadensersatz und Schmerzensgeld.

Dabei berücksichtigen die Vordergerichte weder ein Schlichtungsgutachten der Schlichtungsstelle für Arzthaftpflichtfragen der norddeutschen Ärztekammern, noch ein Privatgutachten, das die Klägerin vorgelegt hatte. Beide Gutachten kamen zu dem Schluss, dass die Operation nicht hätte durchgeführt werden dürfen. Der private Sachverständige beanstandete, dass die Behandlung verschiedenen Leitlinien widersprach; die Schlichtungsstelle beanstandete, dass die Operation in der vorgegebenen Situation nicht hätte durchgeführt werden dürfen. In dem um anamnestische Angaben ergänzten Aufklärungsformular sei die Frage der überschießenden Narbenbildung bejaht worden. Eine Kontrolle dieser Antwort durch den Arzt hätte zur Kontrolle der zahllosen Narben an beiden Armen und Beinen geführt, die bereits dem laienhaften Betrachter ein tiefer liegendes psychisches Problem offenbart hätten.

Das hat der Bundesgerichtshof beanstandet: Das verfassungsrechtliche Gebot des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs, 1 GG) verpflichte ein Gericht, ein privates Gutachten nicht kommentarlos zu übergehen.

Der Bundesgerichtshof hat in ständiger Rechtsprechung wiederholt ausgesprochen, dass der Richter allen Unklarheiten, Zweifeln oder Widersprüchen von Amts wegen nachzugehen hat; er hat Einwendungen einer Partei gegen das Gutachten eines gerichtlichen Sachverständigen zu berücksichtigen und die Pflicht, sich mit von der Partei vorgelegten Privatgutachten auseinander zu setzen und auf die weitere Aufklärung des Sachverhalts hinzuwirken, wenn sich ein Widerspruch zum Gerichtsgutachten ergibt. So muss das Gericht, wenn der Sachverständige in der mündlichen Verhandlung angehört wird, ihn von sich aus zu den Widersprüchen, die sich zu den Ausführungen des Privatgutachtens ergeben, befragen. Es muss die Aufklärungsmöglichkeiten ausschöpfen. Ansonsten bewegt es sich bei seiner Überzeugungsbildung außerhalb des dem richterlichen Ermessen eingeräumten Bereichs. Das Gericht muss die Einwände der Parteien ernst nehmen und sehr sorgfältig vorgehen. Es darf nicht ohne nachvollziehbare einleuchtende und logische Begründung eines der Gutachten bevorzugen. Es muss bei Widersprüchen den Sachverhalt selbständig weiter aufklären. Wenn ein Ergänzungsgutachten die Einwendungen nicht auszuräumen vermag, muss das Gericht zur Sachaufklärung ein weiteres Gutachten einholen.

„Ein Knackpunkt bei solcherlei Operationen ist auch: Je weiter sich eine Behandlung von der medizinischen Notwendigkeit entfernt und nur auf dem Wusch des Patienten (Wunschbehandlung) beruht, desto umfangreicher muss aufgeklärt werden; bei Schönheitsoperationen muss die Aufklärung dem Patienten die Risiken schonungslos vor Augen führen“, sagt Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht Dr. Lovis Wambach.

Nach Auffassung des BGH ist eine Partei auch nicht verpflichtet, ein gerichtliches Sachverständigengutachten sofort mit einem Privatgutachten anzugreifen. Dies kann auch noch in der Berufungsinstanz geschehen.

Den vollständigen Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 15.12.2015 zu dieser News können Sie als PDF (120 KB) hier herunterladen:

BGH, Beschluss vom 15.12.2015, Az.: VI ZR 557/15

 

Art 103 Abs 1 Grundgesetz lautet:
(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör.

 

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